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Elbphilharmonie: Das Schiff ist angekommen

Ausnahme-Akustik, Ausnahme-Architektur: Bauverzug und Kostenexplosion sind vergessen, wenn man vor der Elbphilharmonie steht und in ihr sitzt. Oder zumindest vor ihr weilt.
Ausnahme-Akustik, Ausnahme-Architektur: Bauverzug und Kostenexplosion sind vergessen, wenn man vor der Elbphilharmonie steht und in ihr sitzt. Oder zumindest vor ihr weilt. (c) Thies Raetzke (Thies Raetzke)
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Hamburgs Elbphilharmonie ist die Landmark der Stadt und auch ein Ziel, wenn man keine Tickets bekommt.

Ohne die Elbphilharmonie wäre ich nicht nach Hamburg gereist“, meint die extravagant gekleidete Dame. Mit ihrer Freundin hat sie ganz vorne Platz genommen. Im Großen Saal, von dessen Podium die Sesselreihen steil nach oben steigen, musiziert das erst 2012 gegründete Vision String Quartet, vier junge Herren, sie spielen Schostakowitsch, György Ligeti, Mendelssohn und eigene Kompositionen.

Am 11. Jänner 2017 wurde die Elbphilharmonie eröffnet, die wegen exorbitanter Kostenüberschreitungen für politische Turbulenzen in Hamburg und für Spott und Hohn anderswo gesorgt hatte. Wie konnte das den seriösen Hanseaten passieren? Von 241 auf 866 Millionen Euro stiegen die Ausgaben für das Bauwerk der Schweizer Architekten Herzog & de Meuron, die Ursachen sind vielfältig, einige leuchten immerhin ein, die Sicherung des Untergrundes und die Schalldämpfung (große Kreuzfahrtschiffe wie die Queen Mary fahren an dem Musiktempel vorbei), auch die edlen Materialien kosteten einiges.

Mehr als sieben Millionen Menschen haben seit der Eröffnung die sogenannte Plaza der Elbphilharmonie besucht, die Terrasse, von der aus man einen herrlichen Blick über dieses sogenannte Venedig des Nordens hat, übrigens ein Titel, den sich Städte gern verordnen, zum Beispiel auch Sankt Petersburg. Von diesen Massen von Besuchern haben zumindest 1,2 Millionen ein Konzert besucht. Das klingt nicht extrem viel, aber Interessenten berichten, dass die Eintrittspreise hoch sind und es recht schwierig ist, Karten zu bekommen. Daran hat wohl auch die Besuchergruppe aus Österreich gedacht, als sie ihre Hamburg-Tour über einen Reiseveranstalter buchte.

Die Elbphilharmonie von innen.
Die Elbphilharmonie von innen.(c) Mediacervice Hamburg

Auf der Liste der Hotspots

Ein Wiener bestimmt das Hamburger Konzertleben, Christoph Lieben-Seutter war früher Generalsekretär des Konzerthauses. Ab 2007 durfte er in Hamburg auf die Elbphilharmonie warten, zehn Jahre, er verzweifelte nicht, wie er stets in Interviews betont, hatte er doch auch noch die neobarocke Laeiszhalle zu bespielen, sie ist nach einer bekannten Reederei benannt, Geldgeber Carl Laeisz (1828–1910) war ein Kaufmann und Mäzen. Bis 2021 läuft Lieben-Seutters Vertrag als Generalintendant in Hamburg.

Die Elbphilharmonie hat inzwischen einen kuriosen Spitznamen, „Elphi“, von einer Elfe hat sie nichts, sie thront majestätisch über dem Hafen und ist das neue Wahrzeichen von Hamburg, das die Stadt neben dem viel geliebten und gestürmten Berlin wieder auf die Liste der deutschen Hotspots gesetzt hat, was die Tourismuswirtschaft nur freuen kann. Berlin, hip und am Puls der Zeit, Hamburg, übersichtlicher, eleganter. Oder wie es „Die Zeit“ in einer Hymne auf die demokratiepolitische Bedeutung der „Elphi“ formulierte: „Hier geht es um Inklusion. Hier sitzen Kulturconnaisseure neben Pauschalreisenden, Klassiksnobs neben Omas, die noch einmal im Leben Beethovens Neunte hören wollen.“ „Die Zeit“ sieht das Bauwerk als Bollwerk – gegen die radikalen Tendenzen in der Gesellschaft.

In der Tat, Musik ist äußerst demokratisch und grenzenlos, wer gut ist, findet sein Publikum und kann überall hin. Allerdings äußern lokale Hamburger Blätter auch Sorge, dass die Stadt zu sehr von Touristen überrannt werden könnte. Stichwort: Airbnb, an der Plattform für kurzfristige Mieten gibt es an vielen Orten Kritik.

Speicherstadt im Hinterland.
Speicherstadt im Hinterland.(c) Mediaservice Hamburg

Raum verzeiht keine Fehler

Wie ist sie denn nun wirklich, diese „Elphi“? Lohnt es sich, ihretwegen in den Norden zu reisen? Natürlich! Über Rolltreppen schwebt man empor, alles ist großzügig, neu – und es gibt feine Inszenierungen mit Licht. Manchen Künstlern allerdings jagt die „Elphi“ auch einen Schrecken ein. „Es ist alles wie unter einem Vergrößerungsglas“, konstatierte der namhafte Pianist Igor Levit. Das heißt, wenn man einmal danebenhaut, fällt das auch dem letzten Zuschauer oben auf dem Rang auf. Trotzdem: Allein das Gebäude nur von außen zu betrachten ist faszinierend – und schon ist es auch vergessen, dass mancher vorher den Kopf geschüttelt und gedacht hat: Ausgerechnet ein Schiff, in Hamburg, wie originell. Schnarch.

Großer Programm-Mix

Das Programm ist stark diversifiziert. Es gibt viele Aktivitäten zum Mitmachen – und für den Nachwuchs. Was aber auffällt: Attraktive Veranstaltungen wie John Cale & Orchestra (7.12.), Cecilia Bartoli (10.12.) oder das Philharmonische Staatsorchester Hamburg (16.12.) sind schnell ausverkauft. Aber etwa für das Leipziger Gewandhausorchester mit der französischen Starpianistin Hélène Grimaud (19.1.) gibt es noch Karten.

Hamburg hat viele kulturelle Attraktionen, zu den bekanntesten gehören die 2016 hervorragend neu gestaltete Kunsthalle und das Thalia Theater. Wobei: Für manches muss man nicht unbedingt nach Hamburg – in Wien gibt es auch eine „Medea“, in der Burg, in der Regie von Simon Stone – mit Caroline Peters. In Wien gibt es ja praktisch musikalisch alles. Daher bleibt als Hauptanreiz eben, die „Elphi“ zu besichtigen.

Unterwegs mit Pointen

Was kann man mit kleinerem Zeitbudget noch unternehmen? Wie wirkt Hamburg? Es ist eine Stadt, in der Anarchie (Hausbesetzungen) und feiner, britisch geprägter Lebensstil, Profitgier und Aufsässigkeit nahe beieinander zu liegen scheinen, bedingt durch die Geschichte eines Zentrums der Seefahrt, ein raues Gewerbe.

Eine der bekanntesten Hamburger Geschichten ist jene vom Piraten Klaus Störtebeker, der 1401 angeblich, nachdem er enthauptet worden war, noch an elf seiner Männer vorbeilief, um sie zu retten – der Bürgermeister ließ Störtebekers Seeräubertruppe trotzdem hinrichten. Diese Story verrät einiges vom Geist Hamburgs, von seinem robusten Pioniergeist, seiner Hartnäckigkeit, Unerbittlichkeit und einem Hang zu Sarkasmus und makabren Anekdoten. Die Hamburger Fremdenführer, ob im Bus oder bei der Hafenrundfahrt, wissen jederzeit eine gute Pointe zu setzen. Der Wiener Schmäh ist berühmt, der Hamburger sollte berühmter sein.

Die wichtigsten und viele weniger bekannte Stationen dieser Stadt hat Autor Stefan Beuse abgeklappert – und darüber ein Buch in der Reihe „Gebrauchsanweisung für Hamburg“ (Piper) verfasst. Was weniger geläufig ist: Hamburg hat wie Berlin eine spezielle Luft, frisch, nordisch, feucht, vom nahen Meer her. Und die Menschen reden einen einfach so an, im Café, auf der Straße. Wobei die Hamburger geradeheraus, aber weniger schroff sind als die Berliner.

Unbedingt sehenswert ist auch die Speicherstadt rund um die Elbphilharmonie – in den großen Backsteinbauten wurden früher Waren gelagert, heute ist dies ein Stadtentwicklungsgebiet, wer jetzt an Gentrifizierung denkt, liegt richtig, die teuersten Wohnungen sind allerdings in der Elbphilharmonie selbst, man hofft offenbar mit ihnen einen Teil der gewaltigen Kosten des Bauwerks wieder hereinzubekommen (die letzte Wohnung wurde kürzlich um 11,07 Millionen Euro verkauft). Die Speicherstadt hat sich erfreulich verändert, wirkte sie vor wenigen Jahren noch wie ausgestorben, scheint sie nun, teilweise auch von jungen Familien, besiedelt, was auch den feinen Geschäften und Lokalen zugutekommt. Vermutlich hat sich der Wirtschaftsaufschwung in Deutschland nach der langen Krise positiv auf dieses anfangs etwas steril und künstlich erscheinende Viertel ausgewirkt. Alles in allem: Eine weltoffene Stadt, übersichtlicher als Berlin und mit schönen Shoppingmalls. Die sind schon wegen des über lange Zeit im Jahr frostigen Wetters gefragt.

HAMBURG KOMPAKT

Städtereisen boomen, die meisten Leute halten sich aber nur kurz in den jeweiligen Destinationen auf, ein kundiger Guide zahlt sich daher auf jeden Fall aus: Gerritje Deterding, die Holländerin lebt seit Langem in Hamburg, ist eine tolle Fachfrau mit etwas herbem Charme und viel beschäftigt: Tel. 0049/160 8893323. Es gibt verschiedene Rundfahrten auf dem Wasser. Von Barkassen-Meyer (Landungsbrücken Hauptgebäude) geht es zum großen Hafen mit seinen Kreuz- fahrt- und Containerschiffen. Vom Jungfernstieg (Alster Touristik GmbH) schippert man durch Kanäle zu zauber- haften Villen und Parks.

Gastrotipp: Das noble Restaurant Vlet liegt direkt am Wasser. (Hamburg ist teuer, aber auf Qualität und Seriosität kann man meistens vertrauen.) Compliance-Hinweis: Diese Reise erfolgte auf Einladung von Robin Tours, www.reisethek.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.12.2018)

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