Tirol

Markus Mitterers Kitzbühel: Schöne Bilder, aber nicht geschönt

Die Gams, die für Kitzbühel Pate steht. Und im Hintergrund der Großvenediger.
Die Gams, die für Kitzbühel Pate steht. Und im Hintergrund der Großvenediger.Markus Mitterer
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Wenige Städte in den Alpen evozieren so viele Bilder wie Kitzbühel. Viele sind ein ungenauer Blick von außen, und oft stützen sie ein Klischee. Der Kitzbüheler Fotograf Markus Mitterer zeigt die Gamsstadt von innen. Und rundherum.

Bis eine Gams so still und im richtigen Licht dasteht, bis das Tier seinen Blick ruhig in der Weite versenkt und das Wolkenband die Sicht auf die Berge freigibt – ja, bis ein Moment zu so einem Motiv gefriert, das dauert. Oder der Fotograf hat schlichtweg Glück und ist zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Und/oder hat kundige Begleitung. Um die Tiere zu finden, die Kitzbühel (angeblich gar nicht) den Namen gegeben haben sollen, war der Fotograf Markus Mitterer viele Stunden mit dem Waldaufseher Alois Erber unterwegs, im Wald, am Berg, auf den Almen. Fotografie fordert viel Geduld und tiefe Ortskenntnis. Wobei: „Die Tieraufnahmen sind sicher die schwierigsten“, meint Mitterer. Gefolgt von den Panoramabildern, für die es ganz bestimmte atmosphärische Bedingungen braucht: Weil es im Jahr nur ganz wenige gute Fernsichttage gibt.

In Summe ist das Bildarchiv des gelernten Fotografen, der nach den Bildbänden über die Kitzbüheler Alpen und den Wilden Kaiser nun einen über sein Kitzbühel vorgelegt hat, gar nicht so riesenhaft, aber umso substanzieller (von 2500 Fotografien in der engsten Vorauswahl schafften es 227 ins Buch). Von den digitalen Möglichkeiten lässt sich Mitterer nämlich wenig verleiten: „Keine Schnappschüsse, die man später eh wieder löschen kann. Keine Bilder, die man später sehr lang nachbearbeiten muss.“ Seine Einstellung ist letztlich eine analoge: „Es dauert lang, bis ich auf den Auslöser drücke, da muss alles passen“, sagt der 1970 gebürtige Kitzbüheler und bezeichnet sich als „Fotograf vom alten Schlag“. So einer überlässt kaum etwas dem Zufall – ohne, dass man das den meisten Bildern im Buch ansehen würde. Und wenn doch, ist es gewollt.

An die 100 Einheimische

Kitzbühel erscheint als Stadt mit mehreren Realitäten, durchaus im wortwörtlichen Sinn. Ein anderer Bildband hätte vielleicht eine Stadt zeigen können, die von vielen Freizeitwohnsitzen geprägt ist, von der Versiegelung der besten Plätze, von den weniger schönen Begleitgeräuschen des Tourismus. Man hätte auch eine Stadt zeigen können, wie sie in den Medien gern präsentiert wird: voller Promis, luxuriös, rasant, mit den wildesten Stellen auf der Streif, mit Vorzeige-Einheimischen und Vorzeige-Häusern. Es ist jedoch ein Buch geworden, das mit „schönen“ (aber nicht geschönten Bildern) im Jahreszeitenverlauf die Landschaft, die Natur, die Architektur und die Menschen würdigt.

Freilich, die bekannte Promiwirtin ist dabei, auch der berühmte Extremsportler, doch Mitterer holt hauptsächlich Einheimische vor die Kamera, die für die Vielfalt und für die Alltagsqualität der knapp unter 8300-Einwohner-Stadt stehen. Dann ist es naheliegend, dass zu einer Buchpräsentation die halbe Stadt kommt, mindestens. Manche, so wie sie von Berufs, Freizeit oder Traditions wegen porträtiert sind: Der mehr als 90 Jahre alte Skifan, der seine Leidenschaft entdeckt hat, als er bei der Bergbahn in Pension ging. Die Schulkinder, der Ziegenbauer, der Maler, die Krippenbauerin, die Trachtenfrauen, die Nachfahren der Zweitwohnsitzbesitzer der ersten Generation, der Schneimeister, der Käser.

Dass in seiner Heimatstadt, in die er nach Jahren als Kameramann (unter anderem für einen deutschen TV-Sender) zurückgekehrt ist, Wege existieren, die er noch nie gegangen war, erstaunte ihn. Oder dass es Orte wie den „wilden Osten“ gibt, der eine stille Zone ist. An die drei Jahre hat Mitterer Locations recherchiert, auch Neuland vor der Haustür. „Dabei hab ich Kitzbühel erst richtig kennengelernt. Von der Idee bis zum fertigen Buch hat es fünf Jahre gedauert“, schildert er. Viele Kilometer hat er zu Fuß gemacht, ist für eine neue Perspektive auf Gerüste gestiegen. Denn selbst die Draufsichten sollten keine digitalen Hilfen brauchen: „In der Kirche bin ich im Gewölbe gelegen und hab durch einen ein Meter kleinen Auslass die Christmette fotografiert. Dann hat mich von unten ein Kind entdeckt. Ich hab ihm tief in die Augen geschaut, es hat mich nicht verraten“, erzählt Mitterer vom Aufwand, den er für die Bilder betreibt. Welchen eine Drohne minimieren könnte, doch was tut man nicht für ein gutes handgemachtes Foto von oben, wenn es einen Heißluftballon gibt.

Akkordiert werden die Bilder zwischen Schwarzsee und Bichlalm, zwischen Koasa-Panorama und Großvenediger-Blick, zwischen Vorderstadt-Giebeln und Hahnenkamm-Bauten von Texten, die übrigens Mitterers Vater Werner geschrieben hat. Als stimmige Verlängerung der Bilder.

Buchtipp

Markus Mitterer: „Kitzbühel“, www.markusmitterer.com, 288 Seiten, 55 €

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.12.2018)

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