Unterwegs

Küchenpsychologie der Küche

Appetithäppchen
Appetithäppchen(c) imago/Westend61 (ZoneCreative)
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Warum der Appetithappen stets besser schmeckt als der Rest.

Unsere Gesellschaft wird immer kultivierter. Na ja, zumindest, was die Sprache betrifft. Früher kamen sich feine Menschen besonders fein vor, wenn man ihnen zum Auftakt ihres Menüs ungefragt ein Vergnügen fürs Maul vorsetzte. Da dieses Amuse-Gueule den deutschen Zungen zu vulgär erschien, stiegen sie auf die dezentere Mundfreude um. Allerdings setzte sich der zivilisatorische Fortschritt des Amuse-Bouche im gallischen Sprachraum nicht flächendeckend durch. Um Verwirrung zu vermeiden, tut es nun auch ein sprachlich unverfänglicher Gruß aus der Küche.

Was sich freilich nicht geändert hat: Das Zeug schmeckt immer besser als der ganze Rest. Eine einfache Erklärung: Am Anfang ist man schrecklich hungrig. Die aufreizend winzige Portion regt nicht nur den Appetit an, sie weckt eine schier unstillbare Gier auf mehr. Aber als investigativer Journalist sollte man sich nicht mit solchen physiologischen Plattheiten zufriedengeben. Wir wittern lieber ein kulinarisches Komplott.

Bei jedem späteren Gang befällt uns ja die bange Frage: „Hab ich das Richtige gewählt?“ Was den Genuss verlässlich trübt. Meine These: Diese kognitive Dissonanz nützen die Köche schamlos aus. In Wahrheit ist der Mikrohappen zum Start das Einzige, was sie wirklich gut können. Mit dem, was wir dann bestellen, suggerieren sie uns höhnisch: Selbst schuld, wenn ihr unsere wahren Talente nicht anhand des Fingerzeigs erkannt habt. Sollte der Verdacht zutreffen, haben wir hiermit den moralischen Abgrund einer ganzen Branche aufgedeckt. Dafür verdienen wir einen Preis. Und die Köche? Eins aufs Maul.

karl.gaulhofer@diepresse.com


Nächste Woche:
Gabriel Rath

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.02.2018)

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