In der Marschrutka lernt man Land und Leute besser kennen, als einem lieb ist.
Authentisches Reisen im postsowjetischen Raum versprechen bestimmte Reiseveranstalter mit intelligent klingenden Namen und kutschieren ihre Gäste in klimatisierten Reisebussen durch die kasachische Steppe oder das kirgisische Hochgebirge. Das ist in etwa so authentisch wie ein Wiener Kaffeehaus in Bischkek. Wer wirklich die weite Welt zwischen Tallinn und Taschkent erfahren will, sollte zumindest einmal Marschrutka gefahren sein.
Die Marschrutka ist das Transportmittel einer Gesellschaft, die sich um möglichst wenig Geld möglichst rasant fortbewegen muss: Sammeltaxis in Stadt und Land, die losfahren, wenn sie voll sind. Also richtig voll: In Bergkarabach fand ich einmal gerade noch auf der letzten Stufe Platz, in Südrussland war man gnädig und überreichte mir einen Holzschemel, auf dem ich mich am Gang des Kleinbusses niederlassen durfte. Und schon war ich Teil dieser temporären Schicksalsgemeinschaft, zusammengeschweißt auf Plastiksitzen, belagert von Gepäckstücken, umwabert von intimen Gerüchen.
In Georgien landeten wir nach einem Reifenplatzer beinahe im Straßengraben. Danach reparierte die gesamte männliche Besatzung gemeinschaftlich das Fahrzeug. Sie sehen: Hier lernt man fast zum Nulltarif Land und Leute kennen, und wer diese Reise überlebt, der hat etwas zu erzählen. Die Fahrt in der Marschrutka hat aber noch einen Vorteil: Nach dem stundenlangen Aneinanderschmiegen mit Unbekannten und dem multiplen Krachen in Schlaglöcher ist eine Last garantiert über Bord gegangen, die Westmenschen häufig mit sich herumschleppen: die verklärende Ostalgie.
jutta.sommerbauer@diepresse.com
("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.02.2018)