Roter Faden durch die Innenstadt

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Unterwegs mit dem Immobilienexperten Eugen Otto durch sein Quartier im ersten Wiener Bezirk. Dabei gibt er auch einige wenig bekannte Schleichwege preis.

Man muss sich die Stadt ergehen“, meint Eugen Otto, damit sich die Zusammenhänge erschließen, die räumlichen wie die zeitlichen. Tiefere Einblicke in den historischen – oft noch barocken – Bestand ergeben sich bei ihm im wahrsten Sinne des Wortes en passant: Seine Wohnung befindet sich im ehemaligen Deutschordenskloster in der Singerstraße. „Rund um den Stephansdom hatten sich sehr viele Klöster angesiedelt. Sie wurden später zwar aufgelöst, aber deren Atmosphäre spürt man jetzt noch.“

Schleichwege und Höfe

Nur ein paar Schritte sind es zum Büro seines Unternehmens in der Riemergasse, es befindet sich in einem Gründerzeithaus, das Familie Otto erstand, als der erste Bezirk noch lange nicht auf dem Radar der Luxuskäufer und Anleger war. Und durch Ottos Vermittlungs-, Bewertungs- und Hausverwaltungstätigkeit sind dem Immobilienexperten viele Gebäude im ersten Bezirk naturgemäß vom Keller bis zur Dachsparre vertraut. Durchgänge, Höfe, Stiegen, Pawlatschen – kleine bauliche Situationen wie auf dem Schleichweg von der Grünangergasse zur Blutgasse oder jenem zur Kumpfgasse – schätzt Otto besonders. „Wegen der ungewöhnlichen Perspektiven und weil sie sich seit Jahrhunderten nicht verändert haben.“ Außer vielleicht, dass man das optische Vergnügen mittlerweile mit anderen teilt: „Die Gegend hat ein wenig Zulauf durch das Mozarthaus bekommen, jetzt finden auch Touristen her.“ Viele solcher Gassensituationen hat Otto früher in Schwarz-Weiß fotografiert. Eines der Lieblingsmotive: die winzige Ballgasse, wo seit Ewigkeiten schon ein Tischler feine Restaurationsarbeiten macht.

Bestimmte Routen durch die Wiener Innenstadt ziehen sich wie ein roter Faden durch Ottos Familiengeschichte. Der Weg von der Riemergasse in den Stadtpark etwa, wo ihn der Großvater in den Bäumen herumturnen ließ. Oder zur Volksschule in die Zedlitzgasse, zum Gymnasium bei den Schotten. Und manchmal dauerte der Weg durch die Gassen vermutlich etwas länger, weil einiges die Neugier erweckte: „In der Singerstraße und in der Wollzeile gab es ein paar Tierhandlungen. Durch die großen Scheiben konnten wir die Hamster, Hasen oder Katzen in ihren Käfigen beobachten.“

Sonst habe sich wenig an der Erdgeschoßzone dieses Grätzels zwischen Wollzeile und Weihburggasse geändert. Die Apotheke war da, seit er sich erinnern kann. Auch der Blumenhändler an der Ecke, nur eben mit einer neuen Generation an Inhabern. Ganz früher, an der Stelle der heutigen Pizzeria La Norma, existierte eine koschere Fleischhauerei. Und was unten in der Ladenzone an wenigen Eingriffen passiert, hat fast keinen Einfluss auf oben: „Glücklicherweise ist dieses Gesamtkunstwerk der Fassaden gleich geblieben.“ Die Modernisierungen passieren vielmehr dahinter – die paar verschwiegene Palais wurden saniert, manche Wohnungen zusammengelegt, feuchte Erdgeschoße trockengelegt. Und in ein, zwei prominenteren Häusern die Statik verbessert.

Einmal in der Woche kommt Otto ins Kleine Café, unregelmäßig und kurz, wenn es gerade passt. Es braucht hier, am Franziskanerplatz mit der schönen Kirche, ebenfalls nicht viel gedankliche Retuschen, um sich eine viel frühere Szenerie vorzustellen. Ein paar Schilder weggedacht und schon stehen da die Ladenfronten da wie in der Verfilmung der „Geschichten aus dem Wienerwald“ von 1979, als Hanno Pöschl, Inhaber des kultigen Kaffeehauses und des Wirtshauses gleich um die Ecke der Weihburggasse, den Alfred spielte und Helmut Qualtinger den Zauberkönig.

Verzerrte Wahrnehmung

Die meisten Immobilien hier sind Wohnungen. Der mediale Fokus auf die Flächen im Dachgeschoß verzerre die Sicht: „Die sind nur ein minimaler Teil des Marktes“, meint Otto, der Wohnungen von Superprime bis Lowbudget im Portfolio hat. Es gebe genügend Wohnungen im ersten und zweiten Stock, die in unterschiedlicher Ausstattung und Preislage zu mieten oder zu kaufen sind. Aber man muss gewissenhaft suchen: Oft haben die Häuser Besitzer, die mit Mietern konfrontiert sind, die sich nur ungern von dieser ganz besonderen und stimmungsvollen Lage in der Innenstadt trennen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.12.2013)

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