Baustoff Lehm: Hightech aus der Vergangenheit

Der altbewährte Lehm weist viele gute Eigenschaften auf und ist eines der nachhaltigsten Materialien. Die archaische Optik verträgt sich mit moderner Architektur gut.

Die Aussage klingt nach Nanotechnologie und einem brandneuen Material aus dem Entwicklungslabor: „Mit einer inneren Oberfläche von rund 10.000 Quadratmetern pro Kubikzentimeter hat das Baumaterial hervorragende Auswirkungen auf das Raumklima. Es reguliert die Luftfeuchtigkeit, dient als thermische Speichermasse, nimmt Gerüche auf und wirkt schalldämmend.“

Was Nikolaus Hulatsch, Geschäftsführer von Claytec in Graz, hier so lobt, ist allerdings weder brandneu noch aus dem Labor, sondern eines der ältesten Baumaterialien der Menschheit: Lehm. „Mit moderner Wissenschaft kann man jetzt langsam verstehen, weshalb dieser Baustoff solche Qualitäten aufweist“, erläutert Hulatsch, dessen Firma sich auf Baumaterialien aus diesem Werkstoff spezialisiert hat.

Gutes Klima für Bonbons

Er ist nicht der Einzige, der von Lehm als Baustoff schwärmt. Auch der Vorarlberger Baukünstler Martin Rauch schätzt das Material: „Lehm ist einer der nachhaltigsten Stoffe, und man kann mit ihm interessante Bauten realisieren.“ Letzteres hat Rauch zusammen mit renommierten internationalen Architekten bereits mehrfach bewiesen. Kürzlich etwa in Kooperation mit den Planern Herzog & de Meuron bei einem der größten Lehmbauten Europas, dem Kräuterzentrum für den Bonbonhersteller Ricola. In der großen, vor Kurzem in Betrieb gegangenen Halle werden die Zutaten für die legendären Schweizer Bonbons gelagert und verarbeitet.

„Kräuter stellen hohe Anforderungen an das Raumklima, Lehm leistet einen sehr großen Beitrag dazu und trägt so zu einer wesentlichen Senkung der Klimatisierungskosten bei“, begründet Rauch die Entscheidung für dieses Material. Die große Produktionshalle von Ricola fügt sich mit ihren erdigen Strukturen außerdem harmonisch in die Landschaft rund um das Schweizer Dorf Laufen ein. Diese ästhetischen Möglichkeiten des Materials begeistern ihn ebenfalls: „Es gibt allein vierzig verschiedene Techniken für die Gestaltung der Oberflächen und daraus resultierend nahezu unbegrenzte Variationen. Man kann Stroh, man kann Sand in verschiedenen Farben beimischen, die Möglichkeiten sind fast grenzenlos“, erzählt Rauch.

Grob, roh, modern

Designansprüche will auch Hulatsch mit seinem Programm erfüllen. Neben Lehmfarbputzen in 140Farben bietet er fertige Elemente aus Stampflehm an, die bei der Innenraumgestaltung als Ofen- oder als Wandverkleidung eingesetzt werden können. „Die grobe Struktur des Stampflehms mit ihrer archaischen Anmutung bringt eine ganz besondere Optik. Sie harmoniert auch mit moderner Architektur,“ erläutert Hulatsch. In Trockenbauweise können Lehmelemente überdies als Trennwände genutzt werden, womit sich ihre guten Eigenschaften für das Raumklima in modernen Wohn- und Bürobauten nutzen lassen.

Sehr gut lässt sich Lehm mit Holz kombinieren. Das niederösterreichische Unternehmen Lopas hat auf dieser Basis ein Passivhaus entwickelt. Die Holzrahmenkonstruktion erhält bereits im Werk raumseitig einen 4,5 Zentimeter starken Lehmverputz, was 80 Kilo Lehm pro Quadratmeter Wand ergibt. Diese große Menge des Naturmaterials sorgt für ein optimales Klima im Haus und trägt darüber hinaus wesentlich zu den nachhaltigen Eigenschaften des Hauses bei: Es hat einen sechsmal kleineren ökologischen Fußabdruck als ein konventioneller Bau, erzählt Roland Meingast von Lopas. Er beschäftigt sich seit 15 Jahren mit dem Baumaterial Lehm und leitet die Forschung und Entwicklung des Unternehmens.

Luftionen und Wasser

Meingast ist von den Vorteilen der Lehmbauweise ebenfalls überzeugt und nennt ein weiteres Argument für dieses Material. „Neben den positiven Einflüssen auf das Raumklima führt Lehm zu einer Erhöhung der negativen Luftionen im Raum. Das wirkt sich, wie eine Untersuchung der Medizinischen Universität Wien jetzt zeigt, sehr positiv auf die Konzentrationsfähigkeit aus“, erzählt er.

Der große Vorteil von Lehm, dass er sich ohne Bindemittel mit Wasser verarbeiten lässt, ist zugleich sein größter Nachteil: Spritzwasser oder Schlagregen tun Lehm nicht gut. Beim Fertighaus von Lopas finden sich Lehmwände daher nur an der Innenseite, außen wird konventioneller Putz verwendet. Im Badezimmer muss Lehm in Bereichen mit Spritzwasser wie bei Dusche oder Wanne mit Fliesen oder Platten geschützt werden.

Baukünstler Martin Rauch sieht das Thema anders und setzt bei seinen Lehmbauten auf eine kalkulierte Erosion: „Steine in der Lehmwand verhindern einen tiefschürfenden Abtrag durch Schlagregen, die Lehmwand wird im Laufe der Zeit rau, aber sie bleibt beständig und hält auch 150 Jahre“, erklärt er.

Ihre Farbe verändert eine pure Lehmwand im Laufe der Jahre nicht: Schmutz wird ausgewaschen, Mikroorganismen können sich in dem Material nicht ansiedeln. Ein Hightech-Material mit Tradition eben.

Was Sie beachten sollten beim... Bauen mit Lehm

Tipp 1

Richtige Verarbeitung. Umgang mit Lehm erfordert genaue Fachkenntnisse. Handwerker mit entsprechendem Wissen sind dünn gesät, weil Lehmbau in den meisten Ausbildungen im Baugewerbe noch kaum gelehrt wird. Mittler-weile gibt es aber Fertigprodukte, die auch von Verputzfirmen ohne spezielles Wissen und selbst vom geübten Heimwerker verarbeitet werden können.

Tipp 2

Sicher ohne Chemie. Lehm ist ein öko- logischer und nachhaltiger Baustoff, da er aus reinen Naturmaterialien (Ton, Schluff, Sand) besteht und für die Herstellung kein energieintensiver Brennvorgang nötig ist. Wer sicher sein will, dass sein Lehm ohne chemische Zusatzstoffe ist, kann vom Lieferanten einen Nachweis verlangen oder auf Umweltzeichen (z.B. von Natureplus) achten.

Tipp 3

Schutz vor Wasser. Lehm ist empfindlich gegen Spritzwasser und sollte etwa in Nassräumen oder in der Küche durch Fliesen oder Platten geschützt werden. Im Außenbereich ist ein ausreichender Dachvorstand empfehlenswert. Punkto Abriebfestigkeit im trockenen Zustand ist moderner Lehmputz praktisch mit konventionellem Verputzen durchaus vergleichbar.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.03.2014)

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