Raumideen: Fantasie sucht Großformat

Maler, Zeichner, Grafiker verlassen Leinwand, Screen und Papier. Und machen Wand und Decke zum Medium ihrer Raumideen.

Seine Fantasie musste lange mit den gängigen Formaten auskommen. Nicht länger als ein Pop-Song, wenn er
Musikvideos für Wiener Bands gestaltet. Nicht größer als seine Hand, wenn er Comics zeichnet.  Doch im Kuchenlokal „Fett und Zucker“ im zweiten Wiener Bezirk ist die Strichführung eine andere als sonst: Nicht mit dem Bleistift, sondern mit dem Klebeband zog er dort die Linien an der Wand. Eine Skyline aus Boxen und Kistln wurde daraus. Darauf hockt eine Figur mit Superheldenumhang und beobachtet die Banana Bread und Cheese Cakes, die friedlich in der Vitrine liegen. „Pick a Box“ steht da mit Klebeband geschrieben. Und: „Queer it“. Sowie: „Change it“. Das lässt sich der Held nicht zweimal sagen und segelt mit dem Flieger davon – ein Wandcomic über „Kastldenken“ und wie man ihm entflieht. Schon im Lokal „Elektro Gönner“ hat Prokesch vor Jahren mit „Tape“ die Wand gestaltet. Später auch im „Marea Alta“ auf der Toilette. Und bis die nächsten Wände für ihn frei werden, nutzt er das Klebeband, um seine regelmäßigen Kleinformate zu binden: handgezeichnete Comics, handkopiert und handverlesen, zum Verkauf deponiert irgendwo zwischen Kaffee und Kuchen im „Fett und Zucker“ in der Hollandstraße.



Allmählich bekommt die Fantasie der Kreativen den Raum, den sie suchen. Etwa auch in der neuen Außenstelle des Tortenuniversums im 23. Wiener Bezirk – bei Rita Ableidinger und ihrer frischgebackenen „Cakery“. Sie gestaltet den Geschmack, die spektakuläre Tortenarchitektur und die Figuren, die sie ziert. Und Sabine Harm designte die Welt rundherum, die grafische und die räumliche. Die kleinen Flächen, auf denen sich Grafikdesigner üblicherweise austoben, waren ihr längst nicht mehr genug. Und zwei Dimensionen sind für Harm sowieso eine zuwenig. Deshalb dürfen auch Vase und Wandlampe aus der Wand heraus in die Tiefe des Raums treten. Nur Garderobenhaken und Bilderrahmen bleiben flach wie ein Computerscreen. Dort, wo Menschen, mit einem schönen Anlass in der Tasche, sich mit Rita über schicke Torten unterhalten, hat sich auch die Tapete fein gemacht: Piktogramme von Mixer, Muffin, Tortenheber und Schneebesen hat Sabine Harm zu modernem Barock verquirlt. Fast so gekonnt, wie Rita die österreichische Backtradition mit modernem englischen Tortendesign vermengt.

Deckenschriften. „Kim kocht“ ist in Wien eine bekannte kulinarische Adresse. Seit 2010 auch mit Filiale auf dem Naschmarkt. Schon länger hat Kim dafür Gestaltungsideen gesammelt. Oder besser: gestapelt. Asiatische Zeitungen – balinesische, japanische, thailändische, chinesische und koreanische natürlich. „Dann haben wir überlegt, wie wir die Zeitung an die Decke bringen“, erzählt Kim. Allein brandschutztechnisch keine leichte Aufgabe. Und gestalterisch schon gar nicht. „Liga Graphic Design“ nahm sie trotzdem gern an, schließlich hat man schon immer gern bei Kim gegessen. Als Belohnung gab es für Eveline Wiebach und Elisabeth Kihßl die Venus in Bronze vom Creativ Club Austria, in der Kategorie „Ambient Design“. Der Architekt des Shops war anfangs weniger begeistert. Kim war es umso mehr. Vor allem, als sie die Entwürfe sah. Ein bisschen korrigieren musste sie dennoch, die Zeitungsheadlines über Darmerkrankungen wollten nicht ganz zum inhaltlichen Gesamtkonzept passen. Doch schließlich durften sich japanische Illustrationen, thailändische Kreuzworträtsel, balinesische Artikel und koreanische Zeitungsberichte grafisch in einer Collage überlappen. „Die asiatischen Schriften sind ja sehr zeichen- und bildhaft“, sagt Eveline Wiebach. Und ständig kommen neue Schriftzeichen dazu. Nicht von den Gestaltern, sondern den Gästen, die gern an der Decke unterschreiben.

Dagegen kann jede Leinwand nur Miniatur sein: Insgesamt 4500 Quadratmeter bemalt das Team von „murals.at“ gerade in einem Schloss im Mühlviertel. Und beim Stichwort „Teamarbeit“, sagt Gründerin Sophie Trauttmansdorff, beginnen schon die Unterschiede zur herkömmlichen Malerei. Auch wenn sie hört: „Ah, Sie machen Trompe l’oeil!“, ist das nur ein Teil der ganzen Wahrheit. „Wir kaschieren natürlich auch architektonische Fehler“, sagt sie. Im Dachgeschoß gegenüber der Oper haben murals.at zu viert drei Wochen lang den Ausblick auf Wien an die Wand gemalt, den die Architektur verbaut. Für „kosmetische Operationen“ und dekorative Missionen tingeln sie durch Gänge, Zimmer, Stiegenhäuser, Schlösser von Southampton bis Dubai. Schade nur, meint Trauttmansdorff, dass sie irgendwann zu den Letzten gehören könnten, die das tun. Denn Wandmalerei hat in etwa so viel Nachwuchs wie Fassbinder und Pferdeschmiede. 

Im neuen Ärzte- und Therapiezentrum „MedSyn“ in der Wiener Billrothstraße sind die Kittel weiß wie überall und die Wände so bunt wie kaum woanders. Ein Wunderland aus Flamingos, Äffchen, Schmetterlingen, Origami-Vögeln, die wie die Architektur des Dachgeschoßes gefaltet sind. Thomas Zeitlberger hat die Wände designt, Motive recherchiert, kombiniert, gezeichnet. „Fest stand, es sollte nichts mit einer Arztpraxis zu tun haben“, erzählt er. Und hat es doch, nur ganz subtil. Wer die Tauben zählt, weiß wie viel Menschen hier arbeiten. Den Golfball darf man fern mit Vitalität assoziieren. Versteckte Botschaften, die räumlich wirken. Dafür liegt auch eine 3-D-Brille im Wartezimmer.

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