Grätzeltour: Josefstadt

Die Chefin des Traditionslokals Hummel ist in der Josefstadt aufgewachsen, wohnt gleich über dem Kaffeehaus und begibt sich, mitten im Achten, gern auf Schatzsuche.

Christina Hummel nimmt Platz in ihrem Kaffeehaus in der Josefstädter Straße 66, ihr Arbeitsweg ist denkbar kurz. Die Kaffeesiederin muss nicht einmal ins Freie gehen, um von der Wohnung im ersten Stock in ihr Büro zu gelangen. Mit dem Lift kommt sie direkt in das Café Hummel, das sie 2005 von ihren Eltern übernommen hat. Aufgewachsen in eben diesem Altbau in der Nähe des Hamerlingparks, bekam sie die 127 Quadratmeter große Mietwohnung von ihrer Großmutter. Generationenwechsel stehen im gesamten Achten auf der Tagesordnung: Vor allem Studenten oder junge Familien beleben das früher als Hofrats- und Seniorenviertel bekannte Grätzel, das sich vom ersten Bezirk entlang der Josefstädter Straße – mit vielen Quergassen – bis hinauf zum Gürtel erstreckt. „Alles, was man zum Leben braucht“ findet die gebürtige Josefstädterin Hummel vor allem in der Strozzigasse.

„Kreative, junge Künstler übernehmen Betriebe oder schaffen etwas Neues“, erzählt Christina Hummel über ihre Lieblingsgasse in der Josefstadt, wo sich auch das Café Strozzi, Hummels Stammlokal, befindet. „Es weht ein frischer Wind, die Energie ist spürbar.“ Kleine Geschäfte wie die auf Naturtextilien spezialisierte Boutique cadê?, das Stor mit Mode für Übergrößen oder das Möbelgeschäft 5life laden zum Flanieren ein. Nicht so erfreulich ist die Stimmung bei einigen alteingesessenen Betrieben auf der hochpreisigeren Josefstädter Straße: „Eine alteingesessene Buchhandlung kämpft gegen den Onlinehandel“, sagt Christina Hummel.

Wo vor Kurzem noch eine alte Bäckerei war, ist heute die Filiale einer großen Bäckereikette. „Immerhin besser als ein weiteres leer stehendes Lokal“, so die Unternehmerin. Schlendert man weiter auf der Josefstädter Straße, der „Hauptschlagader“ des Bezirks in Richtung Gürtel, gibt es Betriebe zu entdecken, die Nischenprodukte anbieten – wie den Leberkas Willi, der Vollwertbäcker Gradwohl oder den neuen Genussladen Stollenkäse. Und die Kaffeerösterei mit Bar in der Tigergasse 33 ist ebenso einen Besuch wert.

Doch nicht alles, was nach außen hin glänzt, und davon gibt es viel in diesem Grätzel, behält auf Dauer seine schmucke Fassade: Das leer stehende Palais Strozzi beispielsweise bezeichnet Hummel als einen Skandal: Bis vor Kurzem war darin das Finanzamt beheimatet und nun ist es für die Öffentlichkeit geschlossen.

Prunkvolles in Innenhöfen

„Die beiden wunderschönen Innenhöfe mit prunkvollem Brunnen sind geschlossen“, erklärt Christina Hummel, die solche Schätze – und davon gibt es einige im Bezirk – nicht im Verborgenen wissen will. Zurück beim Ausgangspunkt des Grätzelspaziergangs, dem Café Hummel, lassen in Richtung Hamerlingplatz blickend, große Kräne auf rege Bautätigkeit schließen. Das Gebäude des ehemaligen Bundesamts für Eich- und Vermessungswesen wird bis Herbst 2014 in eine Seniorenresidenz umgebaut, zusätzlich soll es luxuriöse Eigentumswohnungen geben.

Die Kaffeehausbesitzerin begrüßt das Projekt – prognostiziert allerdings einen weiteren Anstieg der Wohnungspreise. Erst kürzlich hat sich Hummel eine 120 Quadratmeter große Mietwohnung gleich ums Eck angesehen, der Preis von monatlich rund 2500 Euro schreckte sie dann ab. Laut dem Immobilien-Preisspiegel 2013 der WKO liegt der Quadratmeterpreis für eine Eigentumswohnung in der Josefstadt bei 4740 Euro, mit rund 11,5 Euro muss man für eine Mietwohnung rechnen. Den Traum von einer neuen Wohnung mit Balkon oder Dachterrasse im Achten legt Christina Hummel vorerst auf Eis.

GRÄTZELINFOS

Wissenswertes: Der Bezirk Josefstadt ist mit einer Fläche von 1,08 Quadratkilometern der kleinste Wiener Gemeindebezirk und zählt zu den dichtest verbauten Bezirken der Bundeshauptstadt. 85 Prozent der Baufläche entfallen aufs Wohnen, nur zwei Prozent der Bezirksfläche gilt als Grünland.

Termintipp: „Philosophie im 8en“ am 1. März, Vortrag & Diskussion im Cafe-Restaurant Rathaus.

Links: www.cafehummel.at,

www.josefstadtcard.at, www.strozzi.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.03.2014)

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