Jochen Schweizer: „Der Euro rollt. Und früher der Schilling“

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Jochen Schweizer verdient mit dem Verkauf von Erlebnisgutscheinen Millionen. Einst war er selbst Stuntman und Extremsportler. Mit der „Presse“ spricht er über Anerkennung für Leistung, Durchhaltevermögen und Selbstverwirklichung.

Die Presse: Vom Kajakfahrer und Stuntman zum Extremsportler und schließlich erfolgreichen Unternehmer. Spulen wir zurück. Wie hat alles angefangen?

Jochen Schweizer: Ich folgte nie einer konkreten Intention, sondern ging lediglich einen entscheidenden Schritt, dem weitere folgten.


Meinen Sie Ihr erstes Engagement als Stuntman?

Genau. Eigentlich bin ich ja Kajakfahrer. 1987 kam das Angebot, in Willy Bogners Film „Feuer, Eis & Dynamit“ mit Roger Moore die Kajakszenen zu spielen. Ich nahm an. In einer Drehpause baute ich aus Langeweile mit Expandergummis ein Seil. Ich hatte nämlich gehört, dass einige Jahre zuvor ein paar Engländer mit einem Fangseil eines Flugzeugträgers von einer Brücke gesprungen waren. Das wollte ich auch ausprobieren und sprang mit meinem selbst gebauten Gummiseil von einer 20 Meter hohen Brücke über einem Fluss. Bogner sah das und fragte, ob ich auch von einer Staumauer springen würde. Also sprang ich von einer 220 Meter hohen Staumauer. Dieser Sprung löste ein Bungee-Fieber aus.


Und Sie wurden berühmt.

Ich wurde ständig aufs Schild gehoben und kam zur Erkenntnis, dass man Anerkennung oft nicht für etwas bekommt, was einem die meiste Kraft abverlangt – wie in meinem Fall das Kajakfahren –, sondern für Dinge, für die es keinen großen Aufwand braucht. Diesen Sprung hätte jeder machen können. Aber Kajakfahren ist hohe Kunst und bedarf jahrelangen Trainings.


Bei Geschenken gibt es einen starken Trend zum Gutschein. Spüren Sie das in Ihrer Firma?

Ja, wir spüren einen Trend zum Erlebnis. Einer Studie aus Österreich zufolge werden gegenständliche Geschenke im Wert von 50 bis 300 Euro nach drei Jahren vergessen. Ein Erlebnisgeschenk, wie etwa einen Segelflug, vergisst man nie.


Bei Ihnen rollt also der Rubel?

Das wäre zu einfach. Wir leben in einer hedonistischen Gesellschaft. Selbstverwirklichung und Individualität sind zentrale Motive einer gebildeten Elite, um etwas Außergewöhnliches zu erleben. Mit einem teuren Mantel kann man Individualität nicht ausdrücken, weil ihn auch 50 andere kaufen können. Wenn ich aber etwas erlebe, ist das meine persönliche Erfahrung. Es ist egal, wer diese Erfahrung noch gemacht hat.

Rollt der Rubel nun?

Der Euro rollt. Und früher der Schilling oder die Mark. Wenn Sie mich auf die Meldungen über das starke Wachstum unserer Firma ansprechen, dann ist das in der Tat zutreffend. Wir bewegen rund 100 Millionen Euro im Jahr, davon allein 70 Millionen im Erlebnisbereich. Nach vielen Jahren der strukturellen Maßnahmen und dem Meistern von Krisen würde ich das, was ich aufgebaut habe, subsumieren mit dem Satz: Nicht für das Anfangen wird man belohnt, sondern für das Durchhalten.

Wie hoch ist bei Ihnen die Quote von Gutscheinen, die gekauft, aber nie eingelöst werden.

Sie ist gering, weil wir eine Erlebnisgarantie bieten. Ein Gutschein ist drei Jahre plus die Resttage des Jahres, in dem er gekauft wurde, gültig. Wer ihn in dieser Zeit nicht einlösen kann oder will, darf sich aus mehr als 1100 Erlebnissen etwas anderes aussuchen. Wir wollen, dass die Gutscheine eingelöst werden. Denn jemand, der einen Gutschein bekommt und einlöst, verschenkt in der Regel nach einer gewissen Zeit ebenfalls einen Gutschein oder gönnt sich selbst ein Erlebnis. Und bei dem Beschenkten passiert dasselbe, so geht das dann weiter. Ein eingelöster Gutschein ist also viel profitabler als die Ersparnis bei einem nicht eingelösten Gutschein. Daher bieten wir auch eine Verlängerungsmöglichkeit für abgelaufene Gutscheine an.

Ist immer mehr Geld zu verdienen ein zentraler Antrieb für Sie?

Nein, überhaupt nicht. Ich sage es mit Humor: Manche meinen, dass Geld unglücklich macht. Na ja, dann bin ich eben schon unglücklich genug. Ich kann meine Grundbedürfnisse befriedigen. Was ich darüber hinaus verdiene, investiere ich in meine Unternehmen und Start-ups. Der Besitz von Geld interessiert mich nicht, weil ich daraus kein Glücksgefühl ableiten kann. Etwas zu bewegen, Authentisches zu erleben – das bereitet mir Freude. Außerdem gebe ich gern etwas von meiner Haltung weiter. Denn in Zeiten der Veränderung ist Haltung der Schlüssel zum Erfolg.

Was verdient eigentlich ein Stuntman pro Tag?

Was er heute verdient, weiß ich nicht. In meiner aktiven Zeit in den 80ern und 90ern habe ich 200 Mark pro Tag verdient. Damals konnte man eine kleine Wohnung für 100 bis 200 Mark mieten. Ich war immer gut gebucht. Zudem hatte ich Spezialstunts, für die ich überragend bezahlt wurde. Ein Beispiel: Im Auftrag von Fisherman's Friend sprang ich 1997 für einen Bungeesprung-Weltrekord für das „Guinness-Buch der Rekorde“ von einem Hubschrauber aus 2500 Metern mehr als 1000 Meter in die Tiefe. Dafür bekam ich 150.000 Mark.


Hatten Sie in Ihrem Leben einen Punkt, an dem Sie dachten: „Wow, ich bin reich.“

Nein, niemals. Denn da, wo ich mich jeweils befinde, ist stets mein Ausgangspunkt. Ich bin immer unterwegs und nie im Ziel. Genug Geld zum Leben hatte ich schon immer. Als 16-Jähriger fällte ich Jungbäume im Wald. Pro Baum habe ich zwischen 90 Pfennig und zwei Mark verdient, was viel war.

Wie viel kostet ein Bungee-Seil?

Je nach Länge zwischen 1000 und 2500 Euro. Man kann es maximal 200 Mal benützen.

Sind Stuntleute versicherbar?

Klar, wir haben eine Berufsgenossenschaft. Der Beitrag für Stuntleute liegt im Mittelfeld. Wissen Sie, welche Berufsgruppe die gefährlichste ist? Spielhallenbetreiber. Weil sie regelmäßig in Schlägereien verwickelt werden.

2003 verunglückte ein Mann tödlich, als bei einem von Ihnen organisierten Sprung vom Dortmunder Fernsehturm das Seil riss. Gibt es Tage, an denen Sie nicht daran denken müssen?

Damals ist etwas passiert, was niemals hätte passieren dürfen. Als Folge davon starb ein junger Mann. Das hatte zwei Ebenen: Was hat dieser Unfall mit der Familie des jungen Mannes gemacht? Und was mit mir. Wobei das, was mir passierte, nichts ist im Vergleich zum Leid dieser Familie. Und mir ist viel passiert. Ich wurde verlassen von der Frau, die ich liebte. Die Firma ging in den Keller, und die Medien vernichteten mich auf ihren Titelseiten. Der Vater des jungen Mannes stellte mir eine zentrale Frage: Haben Sie leichtfertig gehandelt? Nein, das hatte ich nicht. Ich hätte an diesem Tag meine eigenen Söhne springen lassen, mit diesem Seil, von diesem Turm. Hätte ich die Zeit zurückdrehen können, hätte ich diesen Sprung selbst gemacht – als meinen letzten. Denn den Tod hätte ich damals als Erlösung empfunden.


Wie haben Sie Frieden gefunden?

Mit der Erkenntnis, dass nichts auf der Welt ohne Risiko ist. Und mit der Erkenntnis, dass meine unternehmerische Verantwortung immer weiter wachsen kann und muss. Der Kunde muss aber selbst entscheiden, welches intrinsische Risiko er eingehen will, um etwas Bestimmtes zu erleben. Der Kunstflug im Doppeldecker wird immer ein höheres Risikoszenario beinhalten als eine Massage. Ich kann nur innerhalb dieser natürlichen Szenarien das Risiko minimieren. Das kommuniziere ich sehr klar.

Gab es Konsequenzen aus diesem Sprung?

Wir verwenden an unseren Anlagen heute ein redundantes Zweiseilsystem. Das heißt, in das Seil wird eine Flachbandschlinge von mehr als einer Tonne Bruchlast eingenäht. Selbst, wenn der Gummi reißt, würde die Schlinge halten. [ Fabry ]

ZUR PERSON

Jochen Schweizer. Der 58-Jährige, der als Stuntman in Kino- und Werbefilmen mitwirkte, gründete 1985 mit der Kajak Sports Productions den Grundstein für seine nach ihm benannte Unternehmensgruppe, die unter anderem Erlebnisse anbietet. Er gilt als Wegbereiter des Bungeespringens in Deutschland. Soeben ist sein Buch „Der perfekte Augenblick“ (Gräfe und Unzer Verlag) erschienen – ein persönlicher Ratgeber über Haltung und das Meistern von Krisen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.11.2015)

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