Saskia Jungnikl: "Ich kann jetzt besser rechnen"

(c) Rafaela Pröll
  • Drucken

Saskia Jungnikl war Journalistin, bis sie einen Artikel über den Suizid ihres Vaters schrieb. Der „Presse“ erklärt die freie Autorin, warum Verkaufszahlen nicht so wichtig sind.

Die Presse: Sie haben 2013 einen viel beachteten Artikel veröffentlicht, der sich mit dem Suizid Ihres Vaters beschäftigte. Konnten Sie sich damals vorstellen, dass diese Veröffentlichung gravierende Veränderungen in Ihrem Leben mit sich bringen wird?

Saskia Jungnikl: Nein, überhaupt nicht. Dass aus dem Text ein Buch wird, ich statt Vollzeit angestellt freiberuflich schreiben werde, war weder absehbar noch mein Plan. Den Text zu schreiben war eine Befreiung für mich, ihn zu veröffentlichen ein Anliegen. Ich dachte, es gibt wohl auch andere Menschen, die das Thema beschäftigt und die sich allein fühlen.

Wie wurde aus dem Text ein Buch?

Kurz nach der Veröffentlichung hat mich ein Berliner Literaturagent kontaktiert und gefragt, ob ich mir vorstellen könne, darüber ein Buch zu schreiben. Ich habe ein Exposé geschrieben, und auf der Frankfurter Buchmesse gab es großes Interesse an dem Text. Das hat mich erstaunt, weil Suizid ein Nischenthema ist. Am Ende blieben drei Verlage übrig, es kam zu einem Bieterverfahren. Ich habe mich letztendlich für S. Fischer entschieden.

Warum? War das Angebot am lukrativsten?

Finanziell waren die Angebote alle in etwa gleich. Es war eher eine Entscheidung aus dem Bauch heraus. Das Logo von Fischer kannte ich ewig, mein Vater hatte viele Bücher. Ich dachte einfach, dass ich gern dort publizieren möchte.

Haben Sie sich das Schreiben eines Buches zugetraut? Zuvor waren Sie Journalistin, ein Beruf, der Einschränkungen in der Textlänge mit sich bringt.

Es war ein innerer Wunsch, dieses Buch zu schreiben, sodass ich nicht überlegt habe, ob ich das überhaupt kann. Während des Schreibens gab es allerdings immer wieder Phasen, in denen ich mir dachte, dass das niemand lesen wird. Aber es gab auch Phasen, in denen ich vom Text überzeugt war. Geschrieben habe ich das Buch dann in einem halben Jahr.

Nebenbei?

Ich war damals in Bildungskarenz und habe nebenbei ein anderes Projekt betreut. Das war gut, emotional wäre es sonst zu anstrengend gewesen. Es gab auch Zeiten, in denen ich das Thema gänzlich beiseiteschieben musste, weil es zu viel war.

Wann kam der Punkt, an dem Sie sich vom Journalismus lösen und freie Autorin sein wollten?

Während des Schreibens in der Bildungskarenz wurde mir klar, dass ich nicht mehr zurückwill. Ich war Innenpolitik-Journalistin, ein Job, den ich sehr geliebt habe. Doch mit der Zeit wurde diese Leidenschaft weniger. Ich habe gemerkt, dass ich es genieße, nicht auf die Zeichenanzahl achten zu müssen, über anderes schreiben zu können. Ich bin wahrscheinlich auch so erzogen worden, dass man die Dinge, die man tut, gern tun sollte. Es gab keinen Weg mehr zurück.
Den sicheren Pfad zu verlassen hat Ihnen nichts ausgemacht?

Da hat mich mein Elternhaus sicher stark geprägt. Mein Vater hat mit Aktien spekuliert, ein Haus gekauft und ist, ohne jemanden zu kennen, ins Südburgenland gezogen. Dem folgen, was dich glücklich macht, das habe ich mitbekommen. Meine Lebenserwartung beträgt etwa achtzig Jahre, da kann ich ruhig ein paar Jahre ein Risiko eingehen und muss nicht immer auf Sicherheit setzen.

Welche finanziellen Einschnitte brachte diese Entscheidung?

Finanziell war es sicher nicht die beste Entscheidung meines Lebens. Freie Autorin zu werden ist ein Risiko. Ich hatte Glück, weil ich einen großen Verlag gefunden habe, der mir einen entsprechenden Vorschuss gezahlt hat. Aber ich musste umlernen. Ich kann jetzt besser rechnen als vorher. Man bekommt zwar Geld, muss es sich aber anders einteilen, und das ist mir anfangs schwergefallen. Speziell in Österreich ist das behördentechnisch schwierig. Der Staat ist hier sehr unflexibel.

Inwiefern?

Die Sozialversicherung etwa ist auf große Unternehmen ausgelegt, nicht auf Ein-Personen-Unternehmen. Großunternehmen haben eine Armee an Anwälten und Steuerberatern, die ihnen helfen und ihnen sagen, mit welchen Fristen welche Dokumente eingereicht werden müssen, um ein Schlupfloch zu finden. Ist man auf sich gestellt, weiß man so etwas nicht. So positiv naiv, wie ich in das freie Autorendasein gestartet bin, so ernüchtert bin ich drei Jahre später. Drei Anrufe beim AMS bedeuten auch drei verschiedene Auskünfte.

Wie schwer war es, sich das Geld selbst einzuteilen?

Ich habe anfangs einen für mich hohen Betrag bekommen und ihn voller Freude ausgegeben. Dann habe ich bemerkt, dass das eher ungeschickt ist. Nach einigen Monaten habe ich angefangen, Tabellen zu erstellen und mir zu überlegen, wie viel ich brauche, wie viel ich mir auszahlen, wie viel ich auf die Seite legen kann. Es gibt sicher Menschen, denen so etwas mehr liegt als mir. Ich bin da eher unbekümmert, ich habe mir nie wirklich Sorgen gemacht und dachte, es fügt sich alles. Und dann kommt man drauf, dass dem nicht so ist.

Im Supermarkt haben Sie dann genauer auf die Preise geachtet?

Als Angestellte wusste ich, dass monatlich ein bestimmter Betrag auf meinem Konto landet. Wenn ich in einem Monat überziehe, macht es nichts. Das hat dann aufgehört. Ich habe mir ein Wochenbudget zurechtgelegt. War das verbraucht, habe ich weniger ausgegeben. Ich bin vom unkontrollierten Ausgeben in ein kontrolliertes System gewechselt. Jetzt habe ich einen guten Überblick über meine Finanzen.

Welche Konsequenzen hatte es, wenn das Wochenbudget aufgebraucht war? Haben Sie sich dann nur von Kartoffeln ernährt?

Das kam vor, wobei ich Kartoffeln mit Butter eh gern esse. Oder es gab Linsen mit Speck oder Linsen mit Zwiebeln. Die gute Seite ist, dass man bewusster einkauft. Früher habe ich öfters Lebensmittel weggeschmissen, das ist mir später nicht mehr passiert.

Begleitet Sie dieses Verhalten heute noch?

Ich lebe sicher bewusster. Nicht nur, was mein Kaufverhalten angeht, ich teile mir auch meine Zeit bewusster und bestimmter ein.

Wie wichtig war es eigentlich, dass sich das Buch gut verkauft?

Das war mir egal. Also es hat mich nicht unter Druck gesetzt. Das ist das Risiko des Verlags. Mein nächstes Buch wird im Herbst auch bei S. Fischer erscheinen, daher gehe ich davon aus, dass sie zufrieden waren.

Verkaufszahlen haben Sie sich nie angesehen?

Nein. Ich freue mich über einzelne Reaktionen von Lesern, und ich glaube nicht, dass höhere Verkaufszahlen für ein besseres Buch stehen und umgekehrt. Also schaue ich mir auf Amazon auch keine Reihungen an.

Dass Ihr Buch gelesen wird, war Ihnen aber schon wichtig, oder?

Ich habe es für mich geschrieben, aber auch, um anderen zu helfen. Wie viele das dann sind und wie viele es dann lesen, war zweitrangig. Ich habe so viele Nachrichten von Betroffenen erhalten, dass das Buch in ihrem Leben etwas zum Positiven bewegt hat. Für jeden Einzelnen war es das wert.

Sie arbeiten gerade an Ihrem zweiten Buch. Gibt es den Druck, das erste zu toppen?

Bei meinem letzten Buch ging die Presse sehr freundlich mit mir um. Natürlich gibt es die Sorge, dass jetzt streng geurteilt wird. Auf der anderen Seite bin ich dankbar, dass ich ein zweites Buch schreiben kann. Wenn diese Ängste also dazugehören, dann ist es eben so. Ich habe nicht das Gefühl, dass dieses Buch das andere zu toppen hat.

Zur Person

Saskia Jungnikl (*1981) studierte Journalismus an der FH Wien und arbeitete für „Falter“ und „Datum“, bevor sie in die Redaktion des „Standard“ wechselte. 2013 veröffentlichte sie dort einen Text, in dem sie sich mit dem Suizid ihres Vaters auseinandersetzte. Daraus wurde ein Buch, das 2014 im S. Fischer Verlag unter dem Titel „Papa hat sich erschossen“ erschien. Im Herbst wird ihr zweites Werk publiziert: „Eine Reise ins Leben oder wie ich lernte, die Angst vor dem Tod zu überwinden“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.01.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.