Von der Heiligkeit des Rechts

Im Konfliktfall kommt es auf Weisheit an. Was hilft mir, geistvolle Lösungen zu finden?

Eine professionelle Gangsterbande hatte mich in Tansanias Küstenstadt Dar-es-Salam gekidnappt, ausgeraubt und wieder freigelassen, und ich war froh, noch bei guter Gesundheit zu sein. Einheimische Kollegen rieten mir, ich solle keine Anzeige erstatten. Eine solche könnte mich durchaus gefährden, da die Netzwerke der Verbrecher bis in die Reihen der Exekutive hineinreichten. Die Episode machte mir begreiflich, warum Tansanier lieber keine Angelegenheit zur Polizei oder vor Gericht bringen. Die Korruption des Rechtswesens lähmt die Wirtschaft. Das Land bröckelt sozial vor sich hin.

Mein glimpflich ausgegangenes Abenteuer hat mir bewusst gemacht, welchen Wert ein funktionierender Rechtsstaat darstellt. Seither sehe ich die Arbeit meiner österreichischen Freunde, die als Anwälte, Notare oder Richter arbeiten, mit noch größerem Respekt. Sie investieren enorme Energie, um sich in die ihnen anvertrauten Fälle hineinzudenken und zu einer verantwortungsvollen Lösung beizutragen.

»Und wenn er
kommt, wird er die
Welt aufklären
über Sünde,
Gerechtigkeit und
Gericht.«

Johannes 16,8

Diese Kultur der Gewissenhaftigkeit und eines Sinns für Gerechtigkeit scheint eine der wichtigsten Voraussetzungen für das Funktionieren des Rechtssystems zu sein. Auch wenn der österreichische Rechtstheoretiker Hans Kelsen eine systematische Trennung zwischen Fragen der Ethik und des Rechts forderte, beruht das praktische Funktionieren des Rechtsstaates auf ethischen Haltungen der ihn tragenden Personen.

Das Problem brachte der Verfassungstheoretiker Ernst-Wolfgang Böckenförde mit seinem Diktum auf den Punkt, der Rechtsstaat könne die ethischen Fundamente, auf denen er ruht, nicht selbst garantieren. Den hohen Wert einer funktionierenden rechtlichen Ordnung haben Hochkulturen seit vier Jahrtausenden zum Ausdruck gebracht. Recht und Gerechtigkeit wurden oft nahe am Heiligen, an der göttlichen Ordnung empfunden.

Der babylonische König Hammurapi erklärt in seinem Kodex aus dem 18. vorchristlichen Jahrhundert, er sei von Göttern zur Gesetzgebung beauftragt, „damit der Starke den Schwachen nicht schädige“. Im Alten Testament setzt Mose Israels Richter ein und trägt ihnen auf: „Fürchtet niemanden, denn das Gericht gehört Gott.“ Gott selbst ist Israels Gesetzgeber am Berg Sinai, der „große, mächtige und Ehrfurcht gebietende Gott, der niemanden bevorzugt und keine Bestechung annimmt“.

Die steinernen Gesetzestafeln der Zehn Gebote wurden noch in der Französischen Revolution, die eine klare Trennung von Staat und Kirche forderte, als Symbol für die Heiligkeit des Rechtsstaates hochgehalten. Den alttestamentlichen Gedanken, dass gute Rechtsentscheidungen wie das berühmte salomonische Urteil mit göttlicher Weisheit zu tun haben, führt Jesus in seinen Abschiedsreden weiter. Es sei der göttliche Geist, der letztlich Fragen der Gerechtigkeit kläre.

Alle ernsten Lebensfragen, seien sie rein ethisch oder formal juristisch, haben in christlicher Sicht eine spirituelle Dimension. Im Konfliktfall kommt es auf Weisheit an. Was hilft mir, geistvolle Lösungen zu finden?


Bimail steht für Bibelmail, ein wöchentliches Rundschreiben des Teams um Pater Georg Sporschill, adressiert an Führungskräfte. Darin werden Lehren aus der Bibel auf das Leben von heute umgelegt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.09.2014)

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