Culture Clash

Wie liberal sind Liberale?

Will man die liberale Demokratie bewahren, muss man sie nicht nur vor den Orbáns dieser Welt in Schutz nehmen, sondern auch vor manchen Liberalen.

Der große Sozialphilosoph Loriot hat es uns mit seinem Hang zum Humorvollen ja leider schwer gemacht, ihn ganz ernst zu nehmen. So wird sein berühmter Satz kaum je in seiner Tiefe erfasst: „Im liberalen Sinn heißt liberal nicht nur liberal.“ Dabei wäre das ein Schlüssel für die Untiefen der Diskussion um das von Viktor Orbán frohlockend postulierte „Ende der liberalen Demokratie“ in Ungarn.

Als liberal wird ja zum einen eine Haltung bezeichnet, die sich der Freiheit an sich verpflichtet weiß. Etwa im Sinn des apokryphen Voltaire-Zitats: Ich lehne ab, was Sie sagen, würde aber mein Leben dafür einsetzen, dass Sie es sagen dürfen. Diese Entspanntheit ist ein integraler Bestandteil unserer Demokratie: Man lässt auch die mit den verkehrten Ideen gewähren, weil man sie demnächst wieder loswerden kann. Und weil man noch Selbstzweifel kennt.

(Links-)Liberal nennt man aber auch eine konkrete, sehr urbane politische Agenda, zu der gewöhnlich gehören: Internationalismus, Globalisierung und Diversität – mit konkreten Zankäpfeln wie Genderspektrum statt Vater-Mutter-Kind, Ehe für alle, Abtreibung als „reproductive right“, religiöse Neutralität und, derzeit besonders aktuell, erleichterte Massenmigration. Der „wirtschaftsliberale“ Hang zu Freihandel und schlankem Staat scheint hingegen umso weniger Teil der Agenda zu sein, je reicher der Linksliberale schon ist.

Wenn Orbán nun davon spricht, dass er in Ungarn „anstelle des Herumbastelns an der liberalen Demokratie eher die Christdemokratie des 21. Jahrhunderts“ aufbaue, dann klingt das weniger nach einem Abbau der Liberalität im System als nach einem Wechsel der Leitmotive der Regierungspolitik. Tatsächlich scheint es aber beides zu sein. So geht etwa das geplante Maßnahmenpaket zur finanziellen und bürokratischen Gängelung von NGOs, die sich für Immigranten engagieren, weit über die normale inhaltliche Schwerpunktsetzung einer Regierung hinaus. Hier wird liberale Demokratie abgebaut, um illiberale Inhalte umzusetzen.

Aber auch viele linksliberale Kritiker Ungarns oder Polens vermischen die Kategorien – den Abbau von Freiheiten und die Abkehr von der liberalen Agenda. Sie tun oft so, als wäre etwa eine Einschränkung der richterlichen Unabhängigkeit ebenso illegitim und antidemokratisch wie ein Festhalten an der Ehe von Mann und Frau oder wie die Hebung des Nationalstolzes. Damit tun beide Seiten so, als wäre eine liberale Demokratie nur für eine liberale Agenda da. Setzt sich dieses Bild durch, dann wäre das jedenfalls das Ende der liberalen Demokratie.

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

www.diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.05.2018)

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