Culture Clash

Tolle Toleranz

Es ist okay, wenn die Regierung Hasspredigern das Handwerk legt. Aber wieso glaubt sie, mit Moscheenschließungen Parallelkulturen zu verhindern?

Zweifellos hat der Staat die Aufgabe, gegen Verhetzung und Intoleranz vorzugehen. So lässt sich wohl auch rechtfertigen, warum die Regierung sechs Moscheen schließt. Aber warum muss sie dazu ständig den „Kampf gegen Parallelgesellschaften“ bemühen? Als sie Anfang des Jahres die Burschenschaft Germania wegen ihres Liederbuchs auflöste, hat sie das ja auch nicht mit dem Kampf gegen eine Parallelgesellschaft begründet.

Eine Parallelgesellschaft ist laut Wikipedia „die gesellschaftliche Selbstorganisation einer Minderheit, welche nicht den wahrgenommenen Regeln und Moralvorstellungen der Mehrheitsgesellschaft entspricht und von dieser mitunter als ablehnend empfunden wird“. Ich selbst gehöre als ein Katholik, der den Katechismus akzeptiert, einer solchen Parallelgesellschaft an. Dass der Begriff immer mehr zum Bürgerschreck geschmiedet wird, macht mich daher einigermaßen nervös. Der hier mit empörter Emphase verstärkte Anspruch auf Konformität tut nicht gut.

Natürlich will niemand Stadtviertel, in die sich die Polizei nicht mehr hineintraut. Aber der Warnschrei „Parallelgesellschaft!“ wird ja schon erhoben, wenn ein Kind im Ramadan nicht bei der Schuljause mitmacht oder eine Supermarktkette Halal-Produkte ins Sortiment nimmt. Überhaupt wird Schweinefleisch immer mehr zum Indikator für das Ausmaß gesellschaftlicher Parallelität.

Andere Indikatoren sind das Kopftuch und die Moschee. Nicht nur beim Schließen, sondern auch beim Verhindern von Moscheen wird die Parallelgesellschaft ins Spiel gebracht. So hat der FP-Bezirksobmann kürzlich erklärt, warum sie in Tulln keine Moscheebaustelle wollen: „Der Bau großer Moscheen dient nicht der Integration, sondern bedient Parallelkulturen.“ Bisher bin ich davon ausgegangen, dass etwa das Verbot von Kirchenbauten in Saudiarabien eine Konsequenz der dortigen Christenverfolgung ist. Ausgerechnet von FP-Funktionären lerne ich nun, dass so etwas bloß eine Integrationsmaßnahme gegen das Aufkommen von Parallelkulturen ist. Wie umsichtig von den Saudis.

Es gehört nicht viel Grips dazu zu erkennen, dass der Druck auf einen abweichenden Lebensstil diesen erst recht zur Basis einer Parallelgesellschaft macht – bevor Menschen ihre Identität preisgeben, schließen sie sich lieber fester zusammen. Trotzdem wird der Druck in unseren Tagen laufend erhöht. Warum auch immer die Regierung es für nötig hält, die Nichtmuslime und die Muslime weiter zu entzweien: Ich fühle mich verhöhnt, wenn sie mir das ausgerechnet als Kampf gegen die Entstehung von Parallelkulturen verkaufen will.

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

www.diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.06.2018)

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