Glaubensfrage

Nach dem Schweigekanzler nun der Schweigepapst?

Über Missbrauch und Missbrauch des Themas Missbrauch.

Einen Schweigekanzler hatten wir schon. Der SPÖ war es erfolgreich gelungen, Wolfgang Schüssel das Attribut umzuhängen. Weil sich der damalige Chef von Schwarz-Blau weigerte, zu allem einen Kommentar abzugeben. Bei Sebastian Kurz laufen seit dessen Bezug des Ballhausplatzes ähnliche Versuche. Einen Schweigekardinal hatten wir in Österreich auch. Bekommt nun die Welt einen Schweigepapst?

Es ist bereits zu erahnen. Das Thema kehrt wieder: Kleriker, Ordensmänner und -frauen, die Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und Erwachsene ausüben. Oft ist diese Gewalt sexuell konnotiert. Franziskus hat zuletzt gemeint, er wolle zu einer Rücktrittsaufforderung des pensionierten Vatikandiplomaten Carlo Maria Viganò schweigen. Der frühere Nuntius in den USA wirft dem Oberhaupt der Katholiken nicht mehr und nicht weniger vor, als jahrelang von den Missbrauchsvorwürfen gegen Theodore McCarrick, vormals Washingtoner Erzbischof, gewusst und Sanktionen von Benedikt XVI. gegen diesen aufgehoben zu haben. Beweise oder nur Indizien dafür fehlen. Der Versuch, einige Dinge, die derzeit bewusst oder unbewusst vermischt werden, auseinanderzuklauben und klarzustellen:
1. Es ist nicht der Papst. Dem seit fünf Jahren amtierenden Franziskus Verniedlichung oder Vertuschung vorzuwerfen ist gelinde gesagt hanebüchen. Oder böswillig. Immerhin war es Papst Franziskus, der dem 88-jährigen McCarrick im Juni die Amtsausübung untersagt und ihn gedrängt hat, wegen des Verdachts, sich an Priesterseminaristen vergangen zu haben, den Kardinalshut abzugeben. In der Kirchengeschichte stellt dies einen einmaligen Fall dar. Der degradierte Erzbischof, im Pontifikat Johannes Pauls II. zum Bischof avanciert, wartet unter Hausarrest auf ein Verfahren. Jene, die Papst Franziskus ablehnen, sehen beim Thema Missbrauch eine weitere Chance, dessen Autorität zu untergraben, ihn womöglich in den Rückzug zu treiben.
2. Es ist nicht die Homosexualität. Speziell konservative Kreise versuchen, Homosexualität für Missbrauch verantwortlich zu machen. In der Schweiz tobt dieser Tage sogar eine Auseinandersetzung unter Bischöfen zu dieser Frage und dazu, ob homosexuell Empfindende (nicht Praktizierende) Priester werden dürfen. Wissenschaftlich haltbar ist eine De-facto-Gleichsetzung von Missbrauch mit Homosexualität natürlich nicht.
3. Es ist nicht der Zölibat. Die Pflicht, ehelos zu leben, wird oft als Grund für Missbrauch genannt. Das mag im ersten Moment plausibel klingen. Ganz so simpel ist es nicht. Ein direkter Zusammenhang ist schwer nachweisbar. Auch ereignen sich die meisten einschlägigen Straftaten, was verdrängt wird, außerhalb der Kirche im Familienumfeld. Aber: Das verkrampfte Verhältnis zur Sexualität, das Alleinlassen von Priestern sind ein Problem. Und: Ein Überdenken der Regeln erscheint geboten. ?

dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.09.2018)

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