Neue Spaltung in der gespaltenen Christenheit

Nicht nur Russlands Präsident hat einen Hang zur Machtdemonstration. „Seine“ Kirche legt sich mit dem Oberhaupt der Orthodoxie an.

Mag sein, dass in Österreich mittlerweile mehr orthodoxe Christen als Muslime leben. Laut Schätzungen zwischen 750.000 und 800.000 gegenüber ungefähr 700.000 Muslimen. Sie alle und die 40.000 Russisch-Orthodoxen, die in Österreich ihren Lebensmittelpunkt haben, werden wahrscheinlich nur peripher über die Ereignisse informiert sein, die seit wenigen Tagen das Verhältnis zwischen Moskau und Istanbul in Richtung Nichtverhältnis haben kippen lassen. Zwischen dem machtbewussten Moskauer Patriarchen Kyrill I. und dem Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I., immerhin Ehrenoberhaupt der Orthodoxie, herrscht Eiszeit.

Grund für das (weitere) innerchristliche Zerwürfnis ist die Auseinandersetzung über die Stellung der Ukraine, genauer darüber, in wessen Einflussbereich deren Kirche ressortiert. Spätestens seit der völkerrechtswidrigen Annexion der dem ukrainischen Staatsgebiet zugerechneten Halbinsel Krim durch Russland 2014 ist dieser Konflikt der Patriarchen politisch hoch aufgeladen. Bartholomaios hat zuletzt zwei Bischöfe beauftragt, in der Ukraine die Bildung einer eigenständigen, von Moskau unabhängigen Kirche aufzubauen. Die russische Kirchenleitung sieht darin eine Kriegserklärung, beendet den theologischen Diskurs mit Konstantinopel und reagiert mit Verboten: Russisch-orthodoxe Priester dürfen mit Klerikern des Ökumenischen Patriarchats keine Gottesdienste mehr feiern und für Bartholomaios darf in diesen nicht mehr gebetet werden. Seht, wie sie einander lieben!

Dass im 21. Jahrhundert Territorial-/Machtfragen zu einem derart tief gehenden Zerwürfnis zwischen christlichen Kirchen führen können, ist unverständlich und besorgniserregend zugleich. Das Konzentrieren auf sich selbst und Vernachlässigen dessen, wozu man berufen/gewählt wurde, ist nicht nur in der Politik eine Todsünde. (Wer würde dieser Tage dabei nicht an die SPÖ denken?)

Es ist gut gemeint, wenn Papst Franziskus mit seiner jüngsten Reform die Bischofssynoden, entfernt so etwas wie das Parlament der katholischen Kirche, in die Pflicht nehmen will, „zur Wiederherstellung der Einheit unter allen Christen beizutragen“, wie es die Konstitution „Episcopalis communio“ (Bischöfliche Gemeinschaft) formuliert. In der Realität wird soeben die gespaltene Christenheit durch den Streit zwischen Moskau und Istanbul weiter gespalten. Das Auseinanderfallen der orthodoxen Kirchen in unabhängige Nationalkirchen, oft eng mit der politischen Führung verbunden, ist historisch erklärbar. Heute aber nicht nur theologisch schwer argumentierbar. Wo es bei Katholiken noch zu viel Zentralismus gibt, existiert in der orthodoxen oder, noch mehr, evangelischen Welt eine fast unüberschaubare Diversität. Das Gemeinsame wird mehr ver- als entdeckt. Und nicht urbar gemacht.

dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.09.2018)

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