Aufregung ist groß

„Sonderbehandlung“. Hat die Aufregung über verletzte Sprachtabus und unterstellte Codes irgendetwas mit vernünftigem Hinterfragen von Absichten und Haltungen zu tun?

Landesrat Gottfried Waldhäusl hat „Sonderbehandlung“ gesagt. Die Aufregung ist groß. Der SPÖ-Klubobmann etwa hält den FP-Politiker „spätestens jetzt“ für rücktrittsreif. Haben die Nazis doch von „Sonderbehandlung“ geredet, wenn sie „Umbringen“ gemeint haben. Aber: Waldhäusl hat das eindeutig nicht gemeint. Warum dafür zurücktreten? Waldhäusl hat junge Menschen, für die es keinen Haftgrund gab, in eine Art eigens dafür errichtetes illegales Gefängnis einsperren lassen. Aber die Rücktrittsreife erreicht er erst durch das böse Wort? Echt jetzt?

Sollten wir nicht eher darüber debattieren, was einer gemeint hat, als darüber, welchen Begriff er verwendet hat? Die Pflicht zum Einhalten von Sprachtabus, die kaum jemand genau kennt, ist wie das Spielen mit meinem Sohn, der sich als Kind gern Spiele ausgedacht hat. Hat man ihn nach den Regeln gefragt, war seine Antwort: Das wirst du dann schon sehen! In einer solchen Position pfeift man irgendwann aufs Mitspielen.

Noch dazu, wenn nur ein Teil der Mitspieler die Regeln einhalten muss. Ich denke da etwa an Christian Kern, der im Mai im Nationalrat über eine „Sonderbehandlung von Konzernen“ gesprochen hat. Dabei hatte er sogar wenige Tage davor über NS-belastete Sprache getweetet – mit dem Beispiel: „Jemand eine Sonderbehandlung zukommen lassen.“ Ich denke da auch an einen Artikel im „Standard“, der die FPÖ dafür kritisiert, George Soros zwar nicht als Juden kenntlich zu machen, das aber mit Codes wie „Spekulant“ anzudeuten. Dabei nennt auch jeder im „Standard“ Soros einen „Spekulanten“, selbst die ehemalige Chefredakteurin.

Die Liste ist lang. Bei Innenminister Kickls Idee, Asylwerber zu „konzentrieren“, hat die Debatte um den Begriff vom eigentlichen Skandalon abgelenkt: Dass jemand Großlagern das Wort redet, während alle Erfahrungen zeigen, dass damit nur die Zahl der Probleme steigt. Und dass das ja sogar die Absicht dahinter hätte sein können. Und ich habe immer noch nicht zu staunen aufgehört über die Reaktion auf den Facebook-Eintrag von der Tullner FP-Politikerin Miriam Rydl, in dem sie Flüchtlingsmänner als „Untermenschen“ bezeichnet hatte. Rydl entschuldigte sich mit: „Ich wusste nicht, dass das ein Nazi-Wort war“ - und damit war's offenbar wieder gut. Ist es also in Ordnung, anderen die volle Menschenwürde abzusprechen, solang man es nur ohne kontaminierte Begriffe tut?

Eine Demokratie braucht eine harte Diskussion um Absichten und Haltungen. Aber die politische Variante des vorpubertären „Haha! Du hast das böse Wort gesagt!“ ist verzichtbar.


Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.12.2018)

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