Bei aller Freundschaft: Für einen Neubeginn

Der Erstauftritt von Eugen Freund als EU-Spitzenkandidat der SPÖ ist nicht Beweis für gescheiterte PR-Strategien, sondern logische Folge eines innerparteilichen Demokratiedefizits.

Die überraschende Präsentation Eugen Freunds als SPÖ-Spitzenkandidat hat für veritable Aufregung gesorgt. Die Startschwierigkeiten des Politneulings waren Wasser auf die Mühlen all jener, die die Art der Kommunikation als Essenz des Politischen verstehen und nicht den Inhalt. Das Urteil fiel entsprechend aus: ein Kommunikationsdebakel, so der Tenor. Das schlägt in dieselbe Kerbe wie der Irrglaube mancher Parteien, nach verlorenen Wahlen die Niederlage allein in Kommunikationsproblemen zu suchen. Dabei ist diese Analyse eher das Problem als die Lösung – sie ist ein Indiz für den eingeschränkten und technokratischen Blick von Politik und Medien auf das politische Methodenrepertoire.

Wir in der Sektion 8 glauben nicht an „Kommunikationsprobleme“. Vielmehr geben wir dem britischen Politologen Colin Crouch recht, wenn er sagt, dass im Schatten solcher Inszenierung reale Politik hinter verschlossenen Türen gemacht wird. Vergleicht man beispielsweise die Auswirkungen von Freunds Medienauftritten auf die Lebensrealität der Menschen mit denjenigen des geplanten Freihandelsabkommens mit den USA, der Geldpolitik der EZB oder der Judikatur des EuGH, wird klar, dass es ein drastisches Ungleichgewicht bei der politmedialen Prioritätensetzung gibt. Was der Öffentlichkeit als Politik vorgesetzt wird, ist im Grunde ein oberflächliches Spektakel, dessen Relevanz für die Menschen oft nicht weiter geht als der damit verbundene Unterhaltungswert.

Aus unserer Sicht stehen am Beginn politischer Artikulation Überzeugungen, gefolgt von Inhalt und Strategie. Die Kommunikation steht am Ende des Prozesses. Anders als in Zeitungskommentaren und Tweets behauptet, ist Freunds Erstauftritt nicht so sehr Beweis für gescheiterte PR-Strategien, sondern vor allem die logische Folge eines anhaltenden innerparteilichen Demokratiedefizits sowie mangelnder politischer Orientierung in der SPÖ.

Die Einbindung der Parteibasis ist ein Wert an sich. Partizipation ist das Wesen der Demokratie, sie ist aber gleichzeitig Mittel zum Zweck. Hätten alle Parteimitglieder die Möglichkeit, über Kandidaten in Vorwahlen zu entscheiden, wäre das Interesse der Partei an der Europawahl mit einem Schlag geweckt. Über Wochen würde es Hearings und Veranstaltungen sowie Debattenbeiträge in digitalen und analogen, parteieigenen und -externen Medien geben. Mit einem Wort: Es käme Leben in die Bude, und die Basis hätte Gelegenheit, Persönlichkeiten und deren Ideen kennenzulernen. Für die Kandidaten wären Vorwahlen eine Chance, in einer „Generalprobe“ die Wirksamkeit ihrer Argumente zu testen und das Profil zu schärfen. Das käme gerade Quereinsteigern zugute.

Die Gewerkschaft, die SPÖ-Frauen oder die Jugendorganisationen würden verschiedene Kandidaten unterstützen, und am Ende würde die Liste im Rahmen einer Wahl erstellt. Alle SPÖ-Kandidaten wären schon zu Beginn des eigentlichen Wahlkampfs Sieger. Es geht gerade nicht um die Optimierung von PR-Strategien, sondern darum, die frische Luft der Demokratie durch das offene Fenster hereinzulassen. Dies verändert den Charakter der Inszenierung schlagartig. Aus professioneller PR-Routine an der Parteispitze würde ein breitenwirksames demokratisches Ringen um die öffentliche Sache.

Für so einen idealtypischen Verlauf ist die Sozialdemokratie von heute wohl noch nicht bereit. Doch selbst in der gegenwärtigen SPÖ wäre viel mehr Partizipation möglich, in einer simplifizierten Form sogar für die anstehenden Wahlen. Eugen Freund und Co. sind formal noch nicht Kandidaten der Partei, sondern vorerst nur vom Parteivorstand designiert. Über die tatsächliche Nominierung entscheidet ein Bundesparteirat genannter kleiner Parteitag, der bis zur Listeneinreichung am 11.April stattfinden muss. Was spricht dagegen, wenn die Kandidaten sich bis zum Parteirat bei SPÖ-Mitgliedern und Interessierten in Hearings präsentieren und sich erst danach (wieder) den Medien zuzuwenden? Das könnte in den kommenden Wochen geschehen, also lange vor der heißen Phase des Wahlkampfs.

Für Freund wären diese Diskussionen die optimale Gelegenheit, sein Programm zu entwickeln. Es wäre für ihn auch die Chance, die Kultur der Partei, die europapolitischen Auffassungen der Basis und die manchmal schrulligen, aber durchwegs liebenswürdigen Befindlichkeiten der Sozialdemokratie kennenzulernen. Da die SPÖ immer noch eine sozial breit aufgestellte Partei ist, wäre das ein guter Indikator für die Sorgen und Wünsche eines erheblichen Teils der Bevölkerung in Bezug auf Europa. Für Freund wäre es ein Sammeln von Erfahrungen mit dem nützlichen Nebeneffekt der Erdung, die für eine sozialdemokratische Politik unerlässlich ist. Überdies wäre es ein Beitrag zur besseren Einbindung der Basis und zur stärkeren Demokratisierung der SPÖ.

Im Rahmen dieses Nominierungsprozesses könnte auch eine zweite politische Herausforderung angegangen werden, die virulent ist: Die SPÖ braucht für die EU-Wahl ein klares Leitmotiv. Dabei kann es nicht um vereinzelte Forderungen wie den „Schutz österreichischen Wassers“ gehen, sondern um die politische Ausrichtung Europas. Die EU ist nämlich schon lange kein „Projekt“ mehr, sondern politische und legislative Realität. Das von der Partei offiziell ausgegebene Aufgabenprofil für den Spitzenkandidaten, „Europa zu erklären“, ist in diesem Zusammenhang fehlgeleitet. Erklären ist die Aufgabe des Journalismus oder der Wissenschaft, nicht jene der Politik. Die eigentliche Aufgabe des EU-Spitzenkandidaten der SPÖ besteht darin, sozialdemokratische Botschaften zu entwickeln und zu transportieren.

Aus unserer Sicht ist die brennendste Frage heute, welches Modell die Sozialdemokratie der „marktkonformen Demokratie“ von Merkel, Barroso und Barnier entgegenzusetzen hat. Deren Politik beruht auf den fundamentalen Fehlannahmen, dass sich erstens die (europäische) Demokratie den Marktkräften unterzuordnen habe, und zweitens, dass eben jene Marktkräfte eine aggressive Politik des Standortwettbewerbs samt Austeritätszwang erfordern. Massenarbeitslosigkeit und Verelendungstendenzen in weiten Teilen Europas werden dabei in Kauf genommen. Durchgesetzt wird diese Politik von einer Troika aus EU-Kommission, EZB und Internationalem Währungsfonds, die an demokratischen Institutionen wie dem Europäischen Parlament vorbeiregiert. Prototypisch für den Versuch, das einzig direkt gewählte EU-Organ auszuklammern, ist der Fiskalpakt, der als völkerrechtlicher Vertrag die demokratischen Strukturen der EU umgeht und jene im Inland nachhaltig einschränkt. Da ist es schon ein Lichtblick, dass das EU-Parlament vor Kurzem die Zusammensetzung und Politik der Troika infrage gestellt hat und sich – parteiübergreifend – für ihre demokratische Kontrolle einsetzt.

Diesem Europa der marktkonformen Demokratie gilt es das sozialdemokratische Modell des „demokratiekonformen Marktes“ entgegenzusetzen. Eine Politik, die Not und Elend erzeugt, kann niemals sozialdemokratisch sein, die Alternative wäre ein europäisches Programm zur aktiven Krisenbekämpfung. Das würde neben erheblichen öffentlichen Investitionen in soziale Dienstleistungen und Infrastruktur auch die Einschränkung des innereuropäischen Lohn- und Steuerwettbewerbs beinhalten sowie die Einführung gemeinsamer europäischer Staatsanleihen (Eurobonds). All dies wird nur möglich, wenn vermeintlich nationale Einzelinteressen dem europäischen Gesamtinteresse untergeordnet werden. Für einen solchen politischen Paradigmenwechsel müsste das EU-Parlament die Bühne der europäischen Demokratie werden. Der Europäische Rat (die Landeshauptleutekonferenz Europas) in dem Einzelpersonen wie Angela Merkel den Takt vorgeben, müsste an Einfluss verlieren. Deshalb ist es nicht die Aufgabe von SPÖ-Kandidaten, Österreich in Europa gut zu vertreten oder „für Europa zu werben“, wie aus der Partei immer noch zu hören ist. Es geht darum, im Rahmen einer brisanten Richtungsentscheidung zwischen Konservativen und Progressiven eine Mehrheit für Letztere zu erringen. Das wäre gut für Europa, und damit auch für Österreich.

Eingangs haben wir darauf verwiesen, dass für politische Artikulation die Kommunikation der letzte Schritt nach Überzeugung, Inhalt und Strategie ist. Wir haben uns bemüht, uns daran zu halten und ein Überzeugungsskelett entwickelt (Europa als demokratiekonformer Markt), inhaltliches Fleisch angesetzt (öffentliche Investitionen, Eurobonds etc.) und strategische Fragen geklärt (Einsatz für ein progressives Europa statt Österreich vertreten). Auf Basis dieser klaren Haltungen und deutlichen Botschaften kann in einem letzten Schritt eine adäquate politische Kommunikation entwickelt werden. In einer Phase der internen Hearings hätte man noch Zeit, Klarheit bezüglich Überzeugung, Inhalt, Strategie und Kommunikation zu bekommen. In zwei Monaten könnte die SPÖ im Rahmen des Bundesparteirats einen wohlüberlegten Neubeginn hinlegen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.01.2014)

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