Fillon: Eine verlorene Hoffnung für Europa

Statt des marktliberalen François Fillon hat der sozialistische Umverteilungstheoretiker Emmanuel Macron beste Aussichten, Staatspräsident zu werden: auch er ein archetypischer Vertreter der politischen Elite.

Bei den Vorwahlen der französischen républicains, wie sich die konservativen ehemaligen Gaullisten neuerdings nennen, wurde Ende November zur allgemeinen Überraschung nicht der von den Medien favorisierte Alain Juppé gewählt, sondern der frühere Ministerpräsident François Fillon. Damit schien mit einem Schlag die Ausgangslage für die Präsidentschaftswahl im April völlig verändert. Fillon galt sofort als Favorit, der die Stichwal sowohl gegen Marine Le Pen vom Front National als auch gegen einen sozialistischen Kandidaten gewinnen würde, wer immer es sein mochte. Fillon gilt als nüchterner Politiker, der die wirtschaftliche Dauerschwäche seines Landes nicht bemäntelt. Als er 2005 Premierminister wurde, hat er zum Verdruss seines Präsidenten, Nicolas Sarkozy, das überall glorifizierte Frankreich als „ruinösen Staat“ bezeichnet. Den von Angela Merkel in einer Kehrtwende vollzogenen Atomausstieg in Deutschland quittierte er kühl und nüchtern: „Die Atomenergie ist ein Wettbewerbsvorteil Frankreichs.“

Kein Hurra-Europäer

Fillon vertritt ein resolutes wirtschaftliches Reformprogramm. Er kündigt an, 500.000 Stellen im öffentlichen Dienst einzusparen und die Arbeitszeit für die Beamten auf 39 Wochenstunden anzuheben. Die konsequent marktwirtschaftliche Orientierung vereint er mit einem wertkonservativen Gesellschaftsprojekt. Er verteidigt die Anliegen der katholischen Wählerschaft und will das Gesetz über die Homo-Ehe revidieren und die Freigabe von Adoptionen durch Homosexuelle zurücknehmen.

Ausgerechnet in Frankreich, das seinen Laizismus als eine Art Ersatzreligion etabliert hat, spricht der gläubige Katholik Fillon vom Christentum. „Gott ist zurück auf der französischen politischen Landkarte“, ließ das Weltblatt „New York Times“ seine Korrespondentin in Paris berichten. „Die Katholiken sind eine aufsteigende Kraft im französischen Präsidentschaftswahlkampf.“ Das mag zwar reichlich übertrieben sein, aber jedenfalls hat Fillon ein europäisches Tabu gebrochen, das Religion, namentlich das Christentum, aus der Öffentlichkeit verdrängt. Dass Frankreich christliche Wurzeln hat, ist zwar eine Binsenweisheit, es zu sagen gilt aber als politisch nicht korrekt.

Fillon ist kein Hurra-Europäer, sondern durchaus kritisch gegenüber der EU eingestellt. Er möchte die Kompetenzen der EU-Kommission einschränken und die Rolle der Mitgliedstaaten in der EU stärken. Andererseits setzt er sich für die Stärkung der EU-Verteidigungspolitik ein. Zudem möchte er langfristig erreichen, dass sich die EU-Mitglieder in ihrer Wirtschafts-, Steuer- und Sozialpolitik stärker angleichen und die deutsch-französische Achse wiederbelebt wird. In Berlin wird allerdings mit Missfallen registriert, dass Fillon die EU-Sanktionen gegen Russland aufheben will.

Französisches Sittenbild

Aber von all dem muss man nun nur noch in der Form einer vertanen Möglichkeit reden. Die Affäre um die Scheinbeschäftigungen von Fillons Frau, Penelope, und seinen Kindern lässt den für sicher gehaltenen Wahlsieg kaum noch wahrscheinlich erscheinen. Fillon hält allerdings bisher an der Kandidatur fest und beteuert seine Unschuld. Wie auch immer, die Causa Fillon ist auch ein Sittenbild der politischen Klasse in Frankreich. Die abgelaufenen fünf Jahre des sozialistischen Präsidenten, François Hollande, waren eine einzige Serie von finanziellen Skandalen in dessen Umfeld.
Der Philosoph Alain Finkielkraut, der von sich behauptet, keinerlei politische Sympathien für Fillon zu haben, greift die französische Justiz scharf an: „Wir haben eine rachsüchtige Justiz, die François Fillon an einer Kandidatur hindern möchte.“ Fillon missfalle den linken und rechten Eliten, und diese „rächen sich nun dafür, dass ihn das Volk in den Vorwahlen zum Präsidentschaftskandidaten bestimmt hat“.

Wenn Fillon letztendlich auf die Kandidatur verzichten müsste, dann würde das Marine Le Pen begünstigen, prophezeit Finkielkraut, denn an sie würden sich „die Franzosen in ihrer Beunruhigung und kulturellen Verunsicherung wenden“. Unterdessen ist die Zentrumspartei UDI, die sich von Fillon abgewandt hatte, wieder reumütig in dessen Lager zurückgekehrt. Ob das Fillon noch helfen kann, muss man aber bezweifeln.

Nun ist schlagartig der „unabhängige“ Linke Emmanuel Macron, zeitweise Wirtschaftsminister unter Hollande, in die Spitzenposition geraten und hat gute Chancen, mit Le Pen in den zweiten Wahlgang zu kommen und auch gegen sie zu gewinnen. Macron ist ein klassischer Vertreter des seit 300 Jahren in Frankreich herrschenden Etatismus. Jesuitenschüler und Absolvent der Elitehochschule ENA, machte er Karriere in der Verwaltung und als Investmentbanker.

Sein Programm ist durchdrungen von französischem Zentralismus. Statt der selbstverwalteten Sozialversicherungen möchte er eine einheitliche, staatlich organisierte einführen. Er verspricht größere Anstrengungen für die heruntergekommenen Vorstädte; Lehrer, die dort unterrichten wollen, sollen großzügige Zulagen bekommen. Statt 500.000 wie Fillon will er nur 120.000 Stellen im öffentlichen Dienst streichen. Der harte Kern von Macrons Vorstellungen ist aber eine europäische Wirtschaftsregierung mit eigenem Budget. Diese Regierung der Eurozone müsse von einem Euro-Finanzminister, der Investitionsmittel vergibt oder in der Arbeitsmarktpolitik mitredet, geführt werden.

Macron gibt offen zu, dass das auf eine Transferunion hinausläuft. Mit permanenten Ausgleichszahlungen innerhalb der Eurozone würde das Preisniveau in den Krisenländern hoch gehalten, sodass sie ihre verloren gegangene Wettbewerbsfähigkeit nicht wiederfinden könnten. Bezahlen müssten das faktisch Deutschland, Österreich, Finnland und die Niederlande. Den Franzosen würden damit weiterhin ernsthafte Reformen erspart bleiben.

Linke Sympathiebekundungen

Auch Macron ist ein Teil der politischen Klasse in Paris. Der Antikorruptionsverein Anticor hat eben die Hohe Transparenzbehörde der Nationalversammlung angerufen, um Ungereimtheiten bei seiner Vermögenserklärung zu überprüfen. Von 2008 bis 2014 hatte Macron Einkünfte in Höhe von 3,3 Millionen Euro angegeben. Aber in seiner Vermögenserklärung im Oktober 2014 gab er sein Privatvermögen mit nur 200.000 Euro an. Anticor will nun wissen, wo die Millionen geblieben sind.

In den vergangenen Tagen hat Macron sich der Sympathie- und Unterstützungserklärungen von prominenten Linken kaum erwehren können. Wie Kletten hängen sie sich an ihn, um an seinem erwarteten Sieg partizipieren zu können und sich für Ministerämter zu empfehlen – Sozialisten ebenso wie Kommunisten und sogar der gescheiterte Hollande und seine Exfrau Ségolène Royal. Das ist ihm nicht angenehm, denn es straft seine „Unabhängigkeit“ Lügen. Und es ist ein gefundenes Fressen für Fillon und Le Pen, die ihm vorwerfen, eben auch ein Sozialist wie die anderen zu sein.

DER AUTOR

Hans Winkler war langjähriger Leiter der Wiener Redaktion der „Kleinen Zeitung“.

Debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.03.2017)

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