Déjà-vu

Afrika: Die Migration dort stoppen, wo sie beginnt

Mildtätigkeit ist keine Lösung. Es gibt auch keinen moralischen Anspruch oder Recht auf ein Leben im Land seiner Wahl.

Die Balkanroute für Migranten und Flüchtlinge ist zumindest weitgehend geschlossen. Die Atlantik-Route von Westafrika nach Norden wird durch Spanien effektiv blockiert. Offen ist vorläufig noch die Mittelmeerroute, aber wohl auch nicht mehr lange. Sebastian Kurz braucht sich da gar nicht durchzusetzen, denn die Sache wird sich selbst durchsetzen.

Europa kann nicht ewig zuschauen, wie sich die eigene EU-Grenzsicherungsagentur Frontex unfreiwillig (weil sie einen falschen Auftrag hat) und einige Hilfsorganisationen durchaus absichtlich zu Komplizen der Schlepper machen. Die Empörung darüber, dass Kurz das ausgesprochen hat, war heuchlerisch.

Damit wird das Migrationsproblem dort gelandet sein, von wo es seinen Ausgang nimmt und wo es – wenn überhaupt – allein gelöst werden kann, nämlich im Afrika südlich der Sahara. In diesem einzigen Punkt sind sich europäische Realpolitiker vollkommen einig mit ihren Kritikern aus kirchlichen und sonstigen humanitären Organisationen. Es muss etwas dagegen getan werden, dass Menschen keine andere Perspektive für ihr Leben zu haben meinen, als ihre Heimat in Richtung Europa zu verlassen. Dazu gehört zunächst, ihnen klarzumachen, dass sie keine Chance haben, illegal nach Europa zu kommen und wenn es ihnen vielleicht doch gelungen ist, sie sofort zurückgeschickt werden.

Die Instrumente dafür sind genau dieselben, die ihnen jetzt helfen, sich bis zum Mittelmeer und dann zu den Südküsten Europas durchzuschlagen, nämlich Smartphones, Internet und soziale Medien. Wo ihnen weisgemacht wird, dass sie in Europa gern gesehen sind und sie hier ein gutes Leben mit Arbeit und Wohlstand erwartet, muss ihnen mitgeteilt werden, welches Schicksal die allermeisten zu gewärtigen haben. Bilder aus Calais und überfüllten deutschen Flüchtlingslagern müssen in Konkurrenz treten mit schönfärberischen Willkommenszenen.

Parallel zur Abwehr irregulärer Auswanderung können und müssen auf dem afrikanischen Kontinent, am besten in den Ausgangsländern der Migration oder nahe daran, Einrichtungen geschaffen werden, in denen man um eine reguläre Einwanderung ansuchen kann. Dort suchen sich die europäischen Ländern die Einwanderer aus, die sie haben wollen, weil sie sie brauchen können.

Genau das verlangen übrigens die Wohlmeinenden in Europa immer, ohne aber von der Kehrseite zu reden: Es wird dann nur jeder tausendste genommen. Im Gegensatz zu dem, was der Papst sagt, gibt es keinen moralischen Anspruch, geschweige denn ein Recht auf Migration und Leben im Land seiner Wahl. Das ist die vielleicht brutale, aber unerlässliche Seite des Projekts „Rettet Afrika“.

Marshallplan ist kein Modell

Die ungleich mühsamere, teurere und länger dauernde Aufgabe ist es, in den rund drei Dutzend subsaharischen afrikanischen Ländern politische, wirtschaftliche und soziale Zustände herzustellen, die jungen Menschen die Aussicht auf ein einigermaßen anständiges Leben in der Heimat geben. Das ist tatsächlich eine Verantwortung – oder wenn man will moralische Pflicht Europas, aber vor allem ein Gebot politischer Vernunft.

„Ja natürlich!“ hört man jetzt schon die Weltverbesserer rufen: „Ein Marshallplan für Afrika ist das Gebot der Stunde“. Das ist Unsinn. Der Marshallplan war ein Angebot an die vom Krieg zerstörten Länder Europas zur Hilfe, hatte aber Gesellschaften zum Adressaten, die zwar dezimiert und erschöpft waren, zugleich aber über eine technisch-wissenschaftliche Intelligenz verfügten, die den Wiederaufbau selbst in die Hand nehmen konnte.

Überdies traf der Marshallplan auf institutionell und zivilisatorisch hoch entwickelte Staaten. In Afrika fehlen diese Voraussetzungen weithin. Das Wort Marshallplan allein schon löst die Hoffnung auf ein Weiterfließen jener Billionenströme an Dollars und Euros aus, die Afrika in dem halben Jahrhundert seit der Entkolonialisierung kaum weitergebracht, dafür aber zutiefst korrumpiert haben.

Dagegen sollte man eine afrikanische Stimme hören: „Mildtätigkeit ist keine Lösung“, sagt der aus Ghana stammende Kurienkardinal Peter Turkson. Präsident des Päpstlichen Rates für Gerechtigkeit und Frieden. Daraus spricht nicht vatikanische Hartherzigkeit, sondern Erfahrung und Vernunft. Der anhaltende Ausreisestrom habe für die Herkunftsländer der Migration schwere soziale und wirtschaftliche Folgen. Afrika könne die demografische Ausblutung nicht länger verkraften und „Europa kann die Menschen nicht mehr integrieren“.

Europa ist kein Paradies

Die meisten Auswanderer machten sich falsche Vorstellungen über das Leben, das sie in Europa erwartet, meint der Kardinal. „Die wirkliche Geschichte ihrer Wanderschaft wird daheim nie erzählt. Über die Schmerzen und die Erniedrigung wird geschwiegen.“ Ähnlich formuliert es die frühere Leiterin der Wiener Außenstelle der Internationalen Migrationsorganisation IOM: „Vielerorts ist ein falsches Bild vom vermeintlichen Paradies Europa verbreitet, in dem alle Wünsche erfüllt werden.“ Früher einmal mag Europa so reich gewesen sein, dass es viele Migranten hätte aufnehmen können, meint der Kardinal, aber diese Zeiten seien vorbei.

Die Sicht Turksons teilt auch der englische Migrationsforscher Paul Collier: „Wir können die Probleme Afrikas nicht lösen, indem wir Afrika entvölkern und die Leute nach Europa holen. Es gehen in der Regel die Aktiven und Kreativen – und gerade sie werden in den eigenen Ländern gebraucht.“

Der Kardinal und der Wissenschaftler sind sich auch einig darin, den afrikanischen Regierungen nicht die Verantwortung für ihre eigene Bevölkerung abzunehmen. „Afrika kann sich nur selbst retten. Aber wir können dabei helfen.“ Viele afrikanische Staaten seien eigentlich reich, fügt Turkson hinzu, hätten Bodenschätze und auch Arbeitsmöglichkeiten. „Aber die afrikanischen Eliten haben es nie gelernt, dass die Macht dazu da ist, den Menschen zu dienen.“

Ruanda als positives Beispiel

Diese Sicht teilt er mit dem Wirtschaftsnobelpreisträger von 2015, dem in Princeton lehrenden Schotten Angus Deaton. Entwicklung funktioniere nur, sagt Deaton, wenn die Regierungen selbst Geld aufbringen müssen. In dem Augenblick, in dem Geld von außen fließe, seien die Staaten in Versuchung, sich allein darauf zu verlassen. Länder, die keine Steuern erheben müssen, weil Hilfszahlungen aus dem Ausland sprudelten, müssten ihren Bürgern eben auch „nichts liefern“.

Collier will die Situation Afrikas nicht nur schlechtreden und auch keinen Gegensatz zwischen Entwicklungshilfe und seinem strikt marktwirtschaftlichen Ansatz vor allem mit Auslandsinvestitionen gelten lassen: Als gelungenes Beispiel nennt er Ruanda: „Die Armut ist gesunken, die Wirtschaft wächst. Der Westen hat geholfen, aber vor allem waren die Menschen in Ruanda entschlossen, nach dem Bürgerkrieg die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Gute Gesetze, stabile Institutionen und eine interessierte und informierte Bevölkerung sind die Basis für den Erfolg“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.04.2017)

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