Die Widersprüche im Umgang mit der FPÖ

Das Bild entstand am 24. Mai bei der Abschlusskundgebung der FPÖ vor der Europawahl in Wien.
Das Bild entstand am 24. Mai bei der Abschlusskundgebung der FPÖ vor der Europawahl in Wien.(c) APA/AFP/ALEX HALADA
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Wenn Sebastian Kurz seine Politik der Veränderung fortsetzen will, wird er wieder mit den Freiheitlichen regieren müssen.

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Sie haben ein paar Mal im Lauf der vergangenen Jahrzehnte unter Beweis gestellt, dass sie nicht regierungsfähig sind“, sagte dieser Tage Johannes Hahn, der österreichische EU-Kommissar. Mit „sie“ sind natürlich die Freiheitlichen gemeint. Er teile aber die Einschätzung von Sebastian Kurz, so Hahn im nächsten Satz, dass die türkis-blaue Regierung „an sich“ gute Arbeit geleistet habe. Also was nun wirklich? Der Widerspruch bei Hahn ist typisch, und er begleitet die FPÖ und ihren jeweiligen Regierungspartner schon seit Jahrzehnten.

Die FPÖ ist als Regierungspartei regelmäßig gescheitert. An sich selbst. Das dritte Mal ist erst einige Tage her. Erste Überlegungen, die FPÖ in das Machtsystem der Zweiten Republik zu integrieren, gab es schon während der langen Verhandlungen um eine Neuauflage der Großen Koalition 1962. Nach den Verlusten bei der Wahl von 1970 lehnte es Bundeskanzler Josef Klaus (ÖVP) ab, mit der FPÖ zu regieren, obwohl das nach dem Wahlergebnis möglich gewesen wäre und die FPÖ sich ihm angeboten hatte.

SPÖ-Chef Bruno Kreisky hatte diese Skrupel nicht und bildete eine Minderheitsregierung seiner Partei mit Unterstützung der FPÖ, die damals unter der Führung des früheren SS-Obersturmführers Friedrich Peter stand. Dafür wurde die FPÖ mit einer für sie günstigen Wahlrechtsreform belohnt, die ihr die Präsenz im Parlament für alle kommenden Zeiten garantierte.

SPÖ/FPÖ-Koalition vergessen

Nachdem die SPÖ 1983 ihre absolute Mehrheit verloren hatte, nahm Bundeskanzler Fred Sinowatz die FPÖ als Koalitionspartner. Die alte nationale und vor allem antiklerikale Honoratiorenpartei unter Führung von Norbert Steger gab sich jetzt als „liberale“ Partei, es war aber dieselbe FPÖ mit denselben Leuten in den Spitzenrängen wie dreizehn Jahre vorher. Diese Koalition, die drei Jahre lang gedauert hatte, wurde durch den Umsturz in der Partei durch Jörg Haider beendet. Weil sie der SPÖ etwas peinlich ist, wurde sie in einem permanenten Akt der politisch-medialen Verdrängung aus dem kollektiven Gedächtnis der SPÖ und der Republik gestrichen.

Die schwarz-blaue Koalition vom Jahr 2000 scheiterte bereits nach zwei Jahren, weil Teile der FPÖ den Spagat von Regierungspflicht und Oppositionslust nicht schafften. Die Neuauflage derselben Koalition und die Gründung des BZÖ durch Haider spalteten die Partei und Heinz-Christian Strache musste mit der „Konkursmasse“ (© Andreas Mölzer) neu anfangen. Aber immerhin hielt die Zusammenarbeit mit der ÖVP hintereinander mit zwei Flügeln des freiheitlichen Lagers fast sieben Jahre.

Wieso kommt die FPÖ dann doch wieder ins Spiel, obwohl sie angeblich oder wirklich nicht regierungsfähig ist? Durch Haider ist die Partei aus dem Stadium einer Fünf-bis-acht-Prozent-Partei herausgewachsen und hat sich als Mittelpartei etabliert. Sie ist eine von drei Volksparteien. 1999 wurde sie mit 26,9 Prozent sogar zweitstärkste Partei hinter der SPÖ und noch vor der ÖVP, seit der Nationalratswahl 2017 liegt sie mit 25,97 knapp hinter der SPÖ an dritter Stelle.

Es ist unvermeidlich, dass eine Partei dieser Größenordnung schon rein aus taktischen Erwägungen ein potenzieller Koalitionspartner ist. Der langfristige, wenn man will, staatspolitische Zweck einer Beteiligung der FPÖ an der Macht ist aber auch, dass sich ein grobes Viertel (momentan ist es vielleicht nur ein Fünftel, FPÖ-Wähler sind sehr labil) der Wählerschaft nicht auf Dauer in einer Distanz zum Staat einrichten können soll. Dieses Viertel ist längst nicht nur eine entpolitisierte Unterschicht wie vielleicht teilweise in Wien oder anderen größeren Städten, sondern es sind auch durchaus als bürgerlich zu bezeichnende Menschen, namentlich in der Steiermark, in Oberösterreich und Salzburg.

Die Mehrheit ist überdies von SPÖ und ÖVP zugewandert. Ein Sonderfall ist Kärnten, wo SPÖ und FPÖ überhaupt kommunizierende Gefäße sind.

FPÖ, immer noch 20 Prozent

Das Ibiza-Video hat daran prinzipiell nichts geändert. Auch danach ist die FPÖ eine Zwanzig-Prozent-Partei, und wenn man den Umfragen glauben will, etwa so groß wie die SPÖ. Die FPÖ wird aber an dem, was da enthüllt wurde, „noch lang leiden“, wie es Dieter Böhmdorfer, freiheitlicher Justizminister in der schwarz-blauen Regierung von 2000 bis 2004, formuliert. „Die Abgrenzung vom extrem rechten Rand ist eine Dauerverpflichtung.“

Allerdings zeigt das Video auch, dass sich die notwendige Selbstreinigung der FPÖ nicht nur auf extrem rechtes Gedankengut beziehen muss, sondern auch auf Allmachtsvorstellungen und eine Frivolität, die man nur haben kann, solang man nicht in der realen Verantwortung steht. Insofern herrscht eine gewisse Ungleichzeitigkeit. Die Partei wie auch Heinz-Christian Strache als Person wurden eingeholt von Ereignissen und Haltungen, über die sie womöglich schon hinweg sind.

Wie schnell sich übrigens das Bild der FPÖ in der Öffentlichkeit ändern kann, hat man in den vergangenen Tagen frappiert beobachten können. Wurde bis Ibiza und kurz danach über die FPÖ nur im Ton der tiefsten moralischen Entrüstung geredet, gilt sie seit dem Augenblick als ganz normale Partei, als sie sich dazu entschlossen hat, mit der SPÖ die Mehrheit für den Sturz des Bundeskanzlers zu bilden.

Mit SPÖ sofort respektabel

Dass der neue Klubobmann, Herbert Kickl, dabei eine wichtige Rolle spielt, verwundert nicht. Er war immer der zutreffenden Meinung, dass die FPÖ dann sofort respektabel ist, wenn sie mit der Linken zusammenarbeitet. Die FPÖ ist nicht an sich schlecht, sondern nur, wenn sie in einem „Rechtsbündnis“ die SPÖ um die Macht bringt.

Sebastian Kurz hat in einem entscheidenden Augenblick nicht die Nerven gehabt, die Koalition mit der FPÖ weiterzuführen, nachdem ihm Strache durch seinen schnellen Rückzug die Möglichkeit dazu geboten hat. Das wäre wahrscheinlich auch zu viel verlangt von jemandem, der so darauf eingestellt ist, sich der öffentlichen Meinung konform zu verhalten. Dass er nach der Wahl im Herbst eine bessere Situation vorfinden würde, kann Kurz jedenfalls nicht geglaubt haben. Es wird oft der Vergleich mit der Entscheidung von Wolfgang Schüssel im Jahr 2002 gezogen. Dabei wird vergessen, dass Schüssel nicht nur deshalb einen fulminanten Wahlsieg mit 42,3 Prozent für die ÖVP feierte, weil er die FPÖ vor die Tür gesetzt hatte, sondern weil er für seine standhafte Haltung während der EU-Sanktionen belohnt werden sollte – von Leuten, die nur bei dieser Wahl und nie vorher oder nachher je die ÖVP gewählt haben.

Der Ex-Kanzler kann auch nicht glauben, dass er mit Neos und Grünen irgendetwas von der Reformpolitik würde fortsetzen können, die er mit den Freiheitlichen begonnen hat und die er, wie er sagt, für seine eigentliche Aufgabe in der Politik hält. Er muss also den Mut haben, wieder eine Koalition mit den Freiheitlichen zu suchen, in der er höchstwahrscheinlich gestärkt wäre. Und die FPÖ muss bis dahin glaubwürdige Schritte zu ihrer weiteren Läuterung gemacht haben.

DER AUTOR

Hans Winkler war langjähriger Leiter der Wiener Redaktion der „Kleinen Zeitung“.

Debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.06.2019)

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