It's a man's world

Wo halb nackte Gockel sich kosend auf dem Rasen wälzen oder: Warum ich beim Finale die Nase rümpfen werde.

Als Fußballfan ist man zuweilen in seltsamer Gesellschaft. Für das Viertelfinale gegen die Griechen habe ich mich in das Suhlbad der Öffentlichkeit, sprich in ein Wiener Gasthaus, begeben. Am Tisch hinter mir saß eine Runde junger Österreicher, die leidenschaftlich das deutsche Team anfeuerten; neben mir hat sich ein Mann derart hemmungslos seiner komplexgeladenen Aggression hingegeben, dass ich den Platz wechseln musste. Das Interessante war, dass sich in seine „Scheiß Deitsche“-Rufe jedes Mal ein „Scheiß Türke“ mischte, sobald Mesut Özil ins Bild kam. Nichts ist flexibler als das Ressentiment; die Strache-Welt verdaut locker das Nebeneinander von schmissigen Deutschnationalen und bekennenden Piefke-Hassern. Hauptsache, jemand erlebt sein blaues Wunder.

In Deutschland wird über die „Sieg, Sieg“-Rufe der schwarz-rot-goldenen Schlachtenbummler diskutiert. Sogar Innenminister Hans-Peter Friedrich, ein CSU-Mann und bekennender Patriot, hat sie verurteilt, weil sie in Ländern gebrüllt werden, in die einst die Wehrmacht mit „Sieg Heil“-Parolen einmarschiert ist.


Wenn ich solche „Sieg“-Rufe höre, dann sehe ich vor allem eines: offene Männermünder. Frauen mögen inzwischen sehenswerten Fußball spielen, aber die Rituale rund um diesen Sport sind immer noch durch und durch männlich geprägt. Oder kannsich jemand eine Torschützin vorstellen, die todernst in halb nackter Bodybuilder-Pose dasteht wie Mario Balotelli nach seinem 2:0 gegen die Deutschen? Nur Männer bringen es fertig, sich bei der Hymne den Tränen nah ans Herz zu greifen oder voller Inbrunst zum Allmächtigen aufzublicken.

Ein Fußballteam ist ein klassischer Männerbund, mit der typischen Mischung aus geteilter Körperlichkeit und rigoroser Homophobie. Nirgends sonst sieht man so viele Mannsbilder, die sich in öffentlicher Ekstase kosen, küssen und betatschen. Und nirgends sonst ist Homosexualität ein größeres Tabu.

Das Milliardengeschäft Fußball lebt von der Fähigkeit, sich in reflexions- und ironiefreie Zustände zu versetzen. Das Gehabe erinnert mich an die Cowboy-und-Indianer-Spiele aus Kinderzeiten, bei denen wir nie Mädchen mitspielen ließen. Ein echter Fan ist je nach Perspektive entweder jemand, der sich das Kind im Manne bewahrt hat, oder schlicht ein Gockel, der nicht erwachsen geworden ist. Diese zwei Möglichkeiten kommen mir jetzt nach dem Ausscheiden der Deutschen sehr gelegen. Wie gern hätte ich mir heute Abend beim Finale eine gesunde Portion kindlicher Regression gegönnt, mit allem, was dazugehört! So aber kann ich wenigstens angewidert die Nase rümpfen über all die albernen Primaten, die wieder kreischend übereinander herfallen werden.

dietmar.krug@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.07.2012)

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