Haxl-Stellen

Vom Haxl-Stellen und von deutschen Tugenden im falschen Team. Und von einem Trainerlob, das auch noch ernst gemeintwar.

Eine meiner ersten Kolumnen habe ich dem Córdoba-Mythos gewidmet und mir damit etwas von der Seele geschrieben. Ich kann den Namen dieser Stadt einfach nicht mehr hören. Nicht weil die Deutschen dort verloren haben, sondern weil der Mythos etwas über Österreich aussagt, das ich befremdlich finde. Da wird ein Sieg als Jahrhundertereignis gefeiert, der das eigene Team nicht einmal eine Runde weitergebracht hat. Nach dem Spiel vom vergangenen Dienstag hat der ORF-Kommentator die Missgunst-Maxime in einem Stoßseufzer wieder aufleben lassen: „Wann wird es uns gelingen, den Deutschen wieder ein Haxl zu stellen?“ Abgesehen davon, dass Beinchen-Stellen eine Gelbe oder Rote Karte nach sich ziehen kann: Gibt es wirklich nichts Wichtigeres?

Vor dem Spiel war in den Medien von Córdoba erfrischend wenig die Rede, die üblichen Provokationen sind so auffallend ausgeblieben, dass die „Süddeutsche“ sich über eine „fast schon militante Abwesenheit von Folklore“ gewundert hat. Was war geschehen? Trainer Löw hatte dem rot-weiß-roten Team Vorschuss-Rosen gestreut. Österreich sei so stark wie seit Jahren nicht, er erwarte ein Spiel auf Augenhöhe. Dieses Kompliment ging tagelang durch die Medien, vom Boulevard bis Ö1, stets mit dem Zusatz: Der meint das ernst! Kein schönerer Balsam auf Österreichs komplexbeladener Seele als ein Lob aus der Gönnergoschen des großen Bruders. Hätte Löw kein Spiel auf Augenhöhe erwartet – gegen eine Mannschaft, die im Wesentlichen aus Legionären in der deutschen Bundesliga besteht –, dann wäre er ein Stümper seines Fachs.


Dass es schließlich sogar ein Match wurde, in dem die Gastgeber über weite Strecken überlegen waren, hat mich dann doch überrascht. Ich habe seit Jahren die Österreicher nicht so gut spielen gesehen – und die Deutschen nicht so unverdient siegen. Ich bin gespannt, ob Österreich diese Leistung halten wird. Oder ist es am Ende nur gegen seinen Lieblings-Goliath dazu in der Lage? Wäre schade.

Der ARD-Kommentator Mehmet Scholl sagte während des Spiels, er sehe deutsche Tugenden am Werk, nur auf der falschen Seite. Leider gilt es ja auch als deutsche Spezialität, Spiele mit fragwürdiger Leistung zu gewinnen. Deutschlands alte Haudegen der Bieg-und-Brech-Fraktion fordern nach sechzehn titellosen Jahren schon eine Rückkehr zu Effizienz und Kampfkraft: lieber hässlich siegen als in Schönheit sterben.

Am Dienstag haben im Happel-Stadion mehr als 40.000 Österreicher ihrer Mannschaft Standing Ovations gespendet – trotz der Niederlage. Eine schöne Geste, die in Deutschland undenkbar wäre, meinte der deutsche Kapitän Philipp Lahm. Sie gibt Anlass zur Hoffnung, dass die lähmende Córdoba-Fixierung allmählich dort landet, wo sie hingehört: im Museum.

dietmar.krug@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.09.2012)

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