Über die Bayern, Teil 2

Von Schrumpfkomplex und Größenwahn oder: Wozu man in Bad Tölz undBraunschlag die Preußen braucht.

Österreich und Bayern haben etwas gemeinsam: ein Problem mit den Preußen. Von Napoleons Gnaden gerade erst zum Königreich aufgestiegen, wurde Bayern am Ende von Bismarcks Machtpolitik und der Wucht der deutschen Nationalbewegung geschluckt. Diesen Vorgang hält Wilfried Scharnagl in seinem bereits erwähnten Buch „Bayern kann es auch allein“ für den großen Sündenfall, weil die bayrischen Abgeordneten 1870 mehrheitlich für einen Eintritt ins Wilhelminische Kaiserreich votierten. Ein ganzes Kapitel lang zitiert Scharnagl die zeitgenössischen Mahner, die vor Preußens Dominanz und bayrischem Identitätsverlust warnten, als könne er das Ergebnis der Abstimmung noch rückgängig machen.

Einen Rangverlust haben sie beide hinnehmen müssen, Bayern wie Österreich. Aber die Fallhöhe war eine andere. Bayern wurde von einer deutschen Mittelmacht zu einem großen Bundesland, Österreich implodierte von einer europäischen Großmacht zu einem Kleinstaat, den zunächst so gut wie niemand wollte. Dementsprechend anders ist auch das Federvieh dimensioniert, das man mit den Preußen zu rupfen hat – und die Kluft zwischen Schrumpfkomplex und Größenwahn.


Kaum eine bayrische oder österreichische Satire mit Lokalkolorit kommt ohne einen Seitenhieb auf die „Preißen“ aus. Im „Bullen von Tölz“ etwa ist dem Kommissar eine Berliner Kollegin an die Seite gestellt, die den Koloss immer keck „mein Hase“ nennt. Beide bekleiden sie den Rang eines Hauptkommissars, ihre Beziehung lebt von Frotzeleien auf Augenhöhe. Bad Tölz, eine real existierende Kleinstadt, spiegelt den bayrischen Kosmos wider, mit allen nur denkbaren Delikten und Affären und mit direktem Draht zum Herrn Staatssekretär in der Landesregierung.

Ähnlich und doch ganz anders liegen die Dinge in der Serie „Braunschlag“. Auch hier mischt der „Onkel in St. Pölten“ in der fiktiven Waldviertler Gemeinde mit, aber der Horizont dieser winzigen Welt ist ungleich weiter. Da wird Atommüll gelagert, die Russenmafia steckt mit der Landesregierung unter einer Decke, sogar der Vatikan tritt auf den Plan. Ein durch und durch provinzielles Kaff erweist sich als Tor zur Welt, ja zum Weltall, auch wenn der geplante Landeplatz für Außerirdische letztlich nur für eine Marienerscheinung reicht.

Natürlich darf in diesem auf dem Kopf stehenden Kosmos auch das Preußische nicht fehlen. Es tritt auf in Person einer Berlinerin, die sich bei der Mutter des Bürgermeisters als Magd verdingt. Als sie den Job schließlich kündigt, spendet der Abgesandte aus Rom der Hofbesitzerin Trost: „Sie werden schon wen finden. Deutsche gibt's wie Sand am Meer.“ Darauf die Bäuerin: „Ja, aber die meisten sind faul und ungepflegt!“

dietmar.krug@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2012)

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