Diese Deutschen: Martin Luther, Teil 3

Warum haben die Protestanten ein derart heikles Verhältnis zur Sinnlichkeit? Und gibt es so etwas wie konfessionell geprägte Gewalt? Über Martin Luther, Teil 3.

Luther hat den Deutschen das Funkelnde und das Finstere vermacht, die Sprache der Dichter und die Ängste der Duckmäuser. Und noch etwas hat er ihnen mit auf den Weg gegeben: „Der Mensch darf nicht müßig gehen, da muss fürwahr der Leib mit Fasten, Wachen, Arbeiten und mit aller mäßiger Zucht getrieben werden.“

Hier spricht der Augustinermönch, als der Luther seine unerhörte Karriere begonnen hat. Nach seinem Bruch mit Rom verpflanzte er die klösterliche Askese ins weltliche Alltags- und Arbeitsleben. Der Soziologe Max Weber hat in dieser „innerweltlichen Askese“ gar die Keimzelle für die Entstehung des Kapitalismus gesehen. Denn die Früchte der harten Arbeit dürfen keineswegs genossen werden, sie werden gespart und investiert. Der Puritanismus mit seiner kargen Küche und all seiner Verhärmung, in Deutschland ebenso wie in England oder Amerika, ist weiß Gott kein Erbe Roms, einer Stadt, die für Luther das „Hurenhaus über alle Hurenhäuser“ war.


Wo Härte gegen sich selbst waltet, da ist Gewalt gegen andere nicht weit. In Michael Hanekes Film „Das weiße Band“ gibt es zwei Schilderungen elterlicher Gewalttätigkeit. In der ersten kündigt ein protestantischer Pfarrer seinen Kindern die strafenden Peitschenhiebe am Abend vorher an, nachdem er ihnen verbietet, ihm wie üblich vor dem Zubettgehen die Hand zu küssen: „Ich möchte von euch nicht berührt werden. Eure Mutter und ich werden heute eine schlechte Nacht haben, weil wir wissen, dass ich euch morgen wehtun muss und uns das mehr schmerzen wird als euch die Schläge.“

Der norddeutsche Pfarrer inszeniert die Züchtigung als eine Tat, an der sein Körper nicht beteiligt ist, er will nicht berührt werden, alles hat aus Pflicht zu geschehen, ganz gegen Neigung und Gefühl. Es herrscht kalte Wut, ohne Affekt – das klassische Muster preußisch-protestantischer Pädagogik.

In einer anderen Szene stürmt ein bayerischer Gutsverwalter, ein Katholik also, nach einem Vergehen seines Sohnes vor Wut schnaubend in dessen Zimmer und schlägt ihn brutal zu Boden. In seiner Gewalttat ist er beängstigend körperlich präsent, ein Getriebener seiner Wut, nichts steht zwischen seinem Körper und dem seines Sohnes.

Welche Form der Gewalt in der Seele des Kindes den größeren Schaden anrichtet, sei dahingestellt.


Dass die Katholiken sich mit all ihrer Pracht besser aufs Sinnliche verstehen als die Protestanten in ihren kargen Kirchen, heißt nicht, dass sie einer sinnenfreudigen Religion anhingen. Dafür verstehen sie sich im Reich des Körpers zu gut aufs Verbieten. Doch in dem spannungsgeladenen Sündenbewusstsein des Katholizismus ist noch in jedem Verbot das Verpönte verführerisch präsent. Der Beichtende weiß in der Regel ebenso anschaulich, wovon er spricht, wie der, der da lauscht.

Das Ideal des Protestanten indes ist, sich in ein körperloses Wesen zu verwandeln, das nichts zu beichten hat.

dietmar.krug@diepresse.com

diepresse.com/diesedeutschen

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.12.2012)

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