Schwabenland

Ein deutscher Spitzenpolitiker beklagt sich über Zuwanderer, die sich nicht integrieren wollen. Ihre Herkunft: Schwabenland.

Wolfgang Thierse, Vizepräsident des Deutschen Bundestags, hat für einen Skandal gesorgt. In einem Interview mit der „Berliner Morgenpost“ hat er sich über die schwäbischen Zuwanderer beschwert, die seinen Heimatbezirk Prenzlauer Berg überschwemmen und überfremden würden: „Ich wünsche mir, dass die Schwaben begreifen, dass sie jetzt in Berlin sind und nicht mehr in ihrer Kleinstadt mit Kehrwoche.“

Von einer schwäbischen Berlin-Belagerung habe ich zwar noch nie etwas gehört, aber die „Schwäbische Kehrwoche“, die gibt es wirklich. Sie beruht auf traditionsreichen Erlässen, die regeln, wer in Mietshäusern den Dreck zu beseitigen hat. Was haben denn all die Schwaben in Berlin vor? Bilden sie schon revolutionäre Zellen, um den Preußen mal so richtig zu zeigen, was ein picobello geputztes Treppenhaus ist?

Thierses Schwaben-Ängste haben nun den EU-Energiekommissar und Ex-Landeschef von Baden-Württemberg, Günther Oettinger (CDU), verärgert. Zur „Bild“-Zeitung meinte er: „Ohne die Schwaben wäre die Lebensqualität in Berlin nur schwer möglich. Denn wir zahlen da ja jedes Jahr viel Geld über den Länderfinanzausgleich ein.“ Ja, der Schwabe kann nicht nur kehren, er kann auch mehren.


Thierse sieht aber nicht nur die kuschelige Schmuddligkeit seines Bezirks bedroht, er beklagt auch einen Sprachverlust, und wieder sind die Schwaben schuld: „Ich ärgere mich, wenn es in Berlin keine Schrippen mehr gibt, sondern Wecken.“ In Berlin sage man halt Schrippen zu Brötchen, „daran könnten sich selbst Schwaben gewöhnen“. Und dann dieser ewige „Pflaumendatschi“! „Was soll das? In Berlin heißt es Pflaumenkuchen.“

Interessant ist, dass der SPD-Politiker Thierse sonst eher mit Aufrufen zur Toleranz gegen Minderheiten aufgefallen ist. Aber bei den Schwaben hört sich offenbar alles auf.

Ich habe ja schon öfters behauptet, die Deutschen hätten eine bessere politische Kultur als die Österreicher, aber diesmal muss ich eine Lanze für meine Wahlheimat brechen. Thierses Lamento ist doch nur das altbekannte Klagelied, dass die Welt um einen herum einfach nicht so bleiben will, wie sie immer schon war. Was dem Berliner die Schrippeist, ist dem Wiener die Semmel, was dem einen der Schwabe raubt, klaut dem anderen der Piefke. Deutschfeindliche Töne spucken hierzulande auch Leute, die nie ein böses Wort über andere Migranten verlieren würden.

Aber kann sich jemand ernsthaft vorstellen, dass Parlamentspräsidentin Barbara Prammer öffentlich sagen würde: „Ich ärgere mich, wenn ich hier ständig ,lecker‘ und ,tschüss‘ höre. Was soll das? In Wien heißt es ,guat‘ und ,pfiat di‘, daran könnten sich selbst Deutsche gewöhnen!“

dietmar.krug@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.01.2013)

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