Der Möchtegern-Ösi

Es gibt unzählige Möglichkeiten, mehr sein zu wollen, als man ist. Die jüngste und originellste: der »Möchtegern-Ösi«.

Ein neues Schimpfwort ist geboren: der „Möchtegern-Ösi“. Erfunden hat es der Torwart von Borussia Dortmund, er hat es im Streit auf einen österreichischen Nationalspieler gemünzt, der im amtlichen Sinne halb Österreicher, halb Deutscher ist: Martin Harnik, Mittelfeldspieler beim VFB Stuttgart, ist nämlich in der glücklichen Lage, eine deutsche Mutter und einen österreichischen Vater zu haben. Glücklich deshalb, weil er sich so aussuchen konnte, ob er ein Kandidat für das deutsche oder das österreichische Nationalteam ist. Böse Zungen und Dortmunder Torhüter munkeln nun, Harnik habe nur auf die rot-weiß-rote Fahne gesetzt, weil ihm die deutsche zu hoch hängt.

Köstlich. Also ich finde den „Möchtegern-Ösi“ köstlich. Allein schon deshalb, weil er die Welt so hübsch auf den Kopf stellt. Als Möchtegern bezeichnet man doch in der Regel jemanden, der mehr sein möchte, als er ist. Im konkreten Fall: Da will sich ein schlapper Piefke zum flotten Ösi aufplustern, und das nur, weil der Papa ein Steirer ist. Ja, hat denn der Harnik vergessen, wo er herkommt? Beim TSV Kirchwerder in Hamburg hat er das Kicken gelernt. Als Fünfjähriger! Groß geworden ist er bei Werder Bremen. Aber davon will er jetzt natürlich nichts mehr wissen, hoch oben auf seinem österreichischen Fußballolymp...


Wenn ich ehrlich bin, trage ich selbst einen kleinen „Möchtegern-Ösi“ in mir. Nur fürchte ich, dass ich in Ermangelung eines österreichischen Elternteils nie übers Gerne-Mögen hinauskommen werde. Auch besitze ich weder eine russische Goldgrube noch eine russische Goldkehle, um ein Kandidat fürs No na part of the game zu sein. Wenn ich ein Ösi werden will, müsste ich aufhören, ein Piefke zu sein. Kommt nicht in die Tüte!

Pass abgeben? Was wäre denn so schlimm daran, den deutschen Pass abzugeben? Ich könnte es mir jetzt leicht machen und sagen: Weil ich dann nicht mehr in Deutschland wählen könnte. Dabei würde ich viel lieber in Österreich wählen, wo ich die Verhältnisse längst besser kenne und die Folgen meines Kreuzes auch selbst zu tragen hätte. Darum meine Gegenfrage an den österreichischen Staat: Was wäre denn so schlimm an einer Doppelstaatsbürgerschaft? In Deutschland wird derzeit darüber diskutiert, die Justizministerin sieht in allzu restriktiven Regeln ein Hemmnis für die Integration.

Oder bin ich am Ende einfach nur stur? Jetzt habe ich schon 150 Kolumnen über „Diese Deutschen“ geschrieben, so manche nationale Nabelschau gehalten und oft gegen die Auswüchse eines unaufgeklärten Patriotismus gewettert. Und doch habe ich mich immer noch nicht selbst darüber aufgeklärt, warum ich so an meinem deutschen Pass hänge. Sobald ich es herausgefunden habe, werde ich es mitteilen. Versprochen!

dietmar.krug@diepresse.com

diepresse.com/diesedeutschen

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.04.2013)

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