Patschen und Pantoffeln

Patschen streckt man, Pantoffeln gibt man ab. Wer sich vom Acker macht, hat sich womöglich »hamdraht«. Übers Sterben hüben und drüben.

Wenn in meinem rheinischen Heimatdorf der Ruf erklang: „Der Zoch kütt!“ (Der Zug kommt), dann konnte das zweierlei bedeuten. Entweder der Rosenmontagszug war im Anmarsch oder eine Fronleichnamsprozession. Verkleidet habe ich mich für beide Festlichkeiten, der Auftritt als farbenfroh gewandeter Ministrant war für mich ein ebenso aufregendes Rollenspiel wie die Kostümierung als Indianer oder Pirat.

Vielleicht hat diese Vermengung von Profanem und Heiligem dazu beigetragen, dass ich als Kind das Wort „Fronleichnam“ wie „froher Leichnam“ aufgefasst habe. Dabei bietet der Frondienst weiß Gott keinen Anlass zum Frohlocken. Immerhin hat das mittelhochdeutsche „vron“ selbst einen Doppelsinn, es umfasst sowohl die weltliche als auch die irdische Herrschaft. Der „Fronleichnam“ ist der Körper eines Herrschers, der Leib des Herrn.

Ich kann mich indes nicht erinnern, dass „der Zoch kütt!“ auch bei Begräbniszügen gerufen wurde. Dabei herrschte bei uns keineswegs Pietät, wenn vom Sterben die Rede war. Bestenfalls hatte jemand das Zeitliche gesegnet – eine Redensart, die auf der Vorstellung beruht, dass ein Sterbender auf dem Totenbett den geordneten Rückzug antritt und noch rasch die zeitlichen Dinge segnet. Vielleicht liegt ja auch noch der böse Nebensinn darin, dass das Ableben des Betreffenden womöglich ein Segen für die im Zeitlichen Hinterbliebenen ist.


Ging es sprachlich weniger gehoben zu, dann hatte der Verstorbene den Löffel oder die Pantoffeln abgegeben. Dass ein Verblichener keine Hausschuhe mehr braucht, hat man auch in Wien erkannt, wo bei einem Trauerfall irgendwer die Patschen gestreckt hat. Die Deutschen erhalten sich ihren Ordnungssinn halt bis zum bitteren Ende, da wird nicht einfach irgendwo was hingestreckt, da wird geordnet abgegeben, vielleicht hat ja noch jemand Verwendung für die ollen Löffel und Pantoffel.

Was dem Rheinländer indes ebenso fremd ist wie dem Österreicher, ist eine wunderbare Wendung aus Norddeutschland. Ich habe sie erstmals von einem Studienkollegen gehört, der mir die traurige Botschaft vom Ableben seiner Großmutter mitteilte: „Oma hat sich vom Acker gemacht.“ Was für ein Bild! Auf dem Acker wird geackert, und damit ist jetzt endgültig Schluss, der Frondienst hat ein Ende. Ein Hauch von finaler Pflichtverletzung liegt allerdings auch darin.

Nirgends jedoch herrscht bei den letzten Dingen eine wehmütigere Milde als im todestrunkenen Wien. Die Patschen trägt man zu Hause, nicht auf dem Acker. Und wer sich hamdraht hat, der hat eine Heimstatt gefunden. Er ist dort angekommen, wo er im Grunde immer schon hinwollte, an einem Ort jenseits des Jordans, wo selbst für die Preußen das Ackern ein Ende hat.

dietmar.krug@diepresse.com

diepresse.com/diesedeutschen

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.04.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.