Das Heino-Autogramm

Wie ich auf einem Bergsee »La Montanara« sang und bald darauf zum glücklichen Besitzer eines Heino-Autogramms wurde.

Meinen ersten Auftritt als Sänger hatte ich mitten auf dem Gardasee. Ich war mit einem kleinen gelben Schlauchboot ein gutes Stück hinausgepaddelt und sang, was die Kehle hergab: „Hörst du La Montanara, die Berge, sie grüßen dich.“ Ich war neun, hatte Ferien, jeder Tag war ein Samstag, und ich hatte zum ersten Mal in meinem Leben italienische Pasta gegessen. Da kann man schon ins Singen geraten. Später klärte mich mein Vater auf, dass ein spiegelglatter See Schallwellen kilometerweit übertragen kann. Mein Gesang war am Ufer überaus hörbar gewesen. Komisch, applaudiert hat trotzdem niemand.

Das La-Montanara-Lied kannte ich aus der elterlichen Plattensammlung, die, wie sämtliche Sammlungen in der dörflichen Nachbarschaft, auch die obligatorische Heino-Platte enthielt. Der Mann mit der Brille war der allgegenwärtige Bariton des deutschen Wirtschaftswunders, das rollende R zum rollenden Rubel.

Nach den Ferien kam ich aufs Gymnasium. Und wer steht am ersten Tag in der Schuleinfahrt, in einem zitronengelben Cabrio einer deutschen Nobelmarke? Heino himself, blond und bebrillt. Ich klopfe ans Fenster und erlebe eine Premiere: eine Scheibe, die sich elektrisch senkt. Der Barde trägt eine glänzende Joggingkluft, die damals noch „Trainingsanzug“ hieß. Aus der Nähe sehe ich, dass seine Augen hinter den dunklen Gläsern unnatürlich groß aussehen. Für einen Moment weiß ich nicht, was ich sagen soll. „Krieg ich ein Autogramm?“ Er hat nichts zu schreiben, ich reiche ihm Füller und Ringbuch, und er schreibt in Schönschrift „Heino“ hinein. Hätte er seinen richtigen Namen geschrieben, Heinz Georg Kramm, hätte ich mich ziemlich gewundert. Warum Heino vor meinem Gymnasium parkte, erfuhr ich später. Der gebürtige Düsseldorfer, der in der Eifel lebte, hatte seinen Sohn in das katholische Internat gebracht.


Was aus dem Autogramm geworden ist, weiß ich nicht. Ich habe es jedenfalls nicht rituell verbrannt, wie später einige Jugendsünden aus meiner Plattensammlung. Aber Otto Waalkes' Spottgedicht auf den deutschen Schlager, das kannte ich, wie alle meine Freunde, auswendig. Es beginnt mit: „Lieber Gott, ach schenke doch, der Mireille Mathieu ein Loch, lass sie reinfall'n und mach zu, dann ist auf der Erde Ruh!“ Unvergesslich das Ende: „Und zum Schluss, bin ja nicht dumm, dreh Heino noch die Gurgel um!“ Heino war für Generationen das Hassobjekt schlechthin, der Inbegriff deutscher Spießigkeit. Und jetzt ist er wieder da, mit vierundsiebzig stürmt er die Charts und bricht Downloadrekorde. Und womit? Mit Coverversionen von aktuellen deutschen Pop-, Rock- und Rap-Bands. Ein „wirklich schönes Stück Volksmusik“ hat er seine Scheibe genannt. Was für eine Ironie!

dietmar.krug@diepresse.com

diepresse.com/diesedeutschen

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.05.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.