Diese Deutschen: Ein Exkurs ins Derbe

Sogar beim Angsthaben sind Deutsche und Österreicher unterschiedlich temperiert. Zumindest sprachlich. Ein Exkurs ins Derbe.

Wörter und Wendungen sind bisweilen in der Lage, ganze Kindheitsszenarien wieder aufleben zu lassen. „Der hat mehr Angst als Vaterlandsliebe“, sagte unlängst ein Besucher aus Deutschland, und schon tauchte das Dorf meiner Kindheit vor mir auf. Wie lange hatte ich diese Redensart nicht mehr gehört! Sie war in meiner Heimatwelt eine gängige Art, jemanden als Hasenfuß zu bezeichnen. Aber es gab weit boshaftere Mittel, einem zu attestieren, dass man alles andere als ein Held ist. Die Geschichte selbst, die deutsche zumal, hatte die Redensart mit Ironie getränkt. Heroen mit unmäßiger Vaterlandsliebe genossen keinen guten Ruf mehr. Eine Angst, die größer ist als die Liebe zum Land, galt längst als lässliche Sünde. Gott sei Dank, denn wenn es sich umgekehrt verhält, wird's meist ungemütlich – und keineswegs immer nur für die Bösen.

Mehr Angst als Vaterlandsliebe: Kennt man die Redensart eigentlich in Österreich? Das „Österreichische Wörterbuch“ verzeichnet sie jedenfalls nicht. Ich vermute, sie stammt aus der Sphäre des preußischen Militarismus.

Eine gleichbedeutende und ebenso gängige Wendung in meiner Heimatwelt war: „Dem geht die Muffe“ oder „Der hat Muffensausen.“ Wie oft hatte ich das einst gehört und gesagt, aber ich wusste bis heute nicht, was das Sprachbild eigentlich bedeutet. Der „Duden“ erklärt es so: „Die Wendung geht von ,Muffe‘ (= Abschlussstück am Rohrende) im Sinne von ,After‘ aus und bezieht sich darauf, dass sich in Angst- und Erregungszuständen die Afterschließmuskeln unwillkürlich in kurzen Abständen zusammenziehen.“ Sagenhaft, was für Schweinkram man bisweilen daherredet, ohne es überhaupt zu merken.


Die verdauungsfördernde Wirkung der Angst hat sich offenbar tief in die Bildwelt der deutschen Sprache eingeschrieben. Wenn jemand so richtig die Hosen voll hat, dann ist er gerade dabei, sich vor irgendwas anzuscheißen. Und hierzulande ist jemand, dem nichts und niemand Respekt einflößt, ein wilder Hund, der sich nix scheißt, selbst dann nicht, wenn die Kacke am Dampfen ist, wie man bei uns in Deutschland sagt. Es muss aber nicht immer so derb und unverblümt zugehen. Wo der Deutsche das Ungustiöse bildlich mit der Muffe bemäntelt, greift der Österreicher zum Getreide. Denn wenn einem der Reis geht, dann ist doch wohl eher das gemeint, was sich auf Reis reimt und aus demselben wird, wenn er seine Reise erst vollendet hat.

Eine der witzigsten, wohl in Norddeutschland entstandenen Redewendungen aus dem Bereich des Ängstlich-Analen lautet: „Dem geht der Arsch auf Grundeis.“ Warum ausgerechnet auf Grundeis? Es bildet sich auf dem Boden von Binnengewässern. Wenn es sich bewegt, erzeugt es ein Geräusch, das dem Rumoren in den Eingeweiden ähnelt.

Die österreichische Entsprechung ist wohl: „Dem kocht das Arschwasser.“ Was für ein Kontrast! Sogar beim Angsthaben sind die Deutschen und die Österreicher unterschiedlich temperiert. Wo dem einen das Blut in den Hämorriden gefriert, wird's dem andern siedend heiß um den Südpol.

dietmar.krug@diepresse.com

diepresse.com/diesedeutschen

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2013)

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