Über den hiesigen Sprachpatriotismus, Teil 2.

Wie eine unangekündigte Rednerin ein Publikum vor meinem Einfluss schützen wollte.

Das Goethe-Institut veranstaltet ein Fortbildungsseminar für Lehrende, die Deutsch als Fremdsprache unterrichten. Es tingelt durch mehrere deutschsprachige Städte, und ich war geladen, vor dieser Runde aus aller Herren Länder aus meinen Kolumnen zu lesen und dann darüber zu diskutieren. Unmittelbar nach meiner Lesung ergriff eine Dame das Wort, die sich mir weder vor noch nach der Veranstaltung vorgestellt hat. Aus ihrem Vortrag schloss ich, dass sie nicht zu den Deutschlehrenden gehörte, sie hatte wohl eine Funktion in der österreichischen Organisation der Fremdsprachenausbildung inne.

Die Essenz ihres unangekündigten Referats war: Die Linguistik habe festgestellt, dass das Deutsche eine plurizentrische Sprache mit mehreren gleichberechtigten Varietäten sei. Das heißt: Die Aprikose hat nicht mehr Anspruch darauf, „richtiges Deutsch“ zu sein als die Marille.

Das ist wahr. Wer Aprikose für richtiges und Marille für falsches Deutsch hält, ist ein Ignorant. Die Frage ist nur, welche Konsequenzen daraus für die Deutschlehrer erwachsen. Mein erster Versuch, diese Frage zu stellen, scheiterte, die Dame wollte nicht unterbrochen werden. Es war ganz offenbar ihre Mission, das Auditorium nicht ungeschützt meinem Einfluss auszusetzen.

Der Rest des Referats war eine Klage, dass besagte Plurizentrik ständig mit Füßen getreten werde. Als die Dame schließlich berichtete, dass viele deutsche Verlage die österreichischen Ausdrücke einfach in bundesdeutsche verwandeln, kam aus dem Publikum die Frage: „Warum soll man dann diese Wörter lernen, wenn man gar nicht vorhat, nach Österreich zu gehen?“ Gute Frage. Ist es nicht sinnvoller, die Lernenden erst an die 97 Prozent des Wortschatzes zu gewöhnen, die uns verbinden, statt sie gleich mit den drei Prozent zu verwirren, die uns trennen? Und ja, in diesem Fall plädiere ich für die Aprikose, weil die Wahrscheinlichkeit, dass der Proband in einer Region arbeiten wird, in der das Wort in Gebrauch ist, recht hoch ist.

Aus eigener Erfahrung: Wenn es einen dann doch nach Österreich verschlägt, bekommt man das mit den Marillen ganz von selbst hin.

dietmar.krug@diepresse.com

diepresse.com/diesedeutschen

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.12.2013)

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