Von Großkotzen und Piefkes mit Tirolerhut

Und warum die Deutschen es nicht aushalten, sich in einem anderen Land fremd zu fühlen.

Neulich in einem Wiener Kaffeehaus: Zwei Männer kommen herein, beim Durchqueren des Raums unterhalten sie sich in einer Lautstärke, die für die Gäste schwer zu ignorieren ist. Dann betreten sie einen Bereich des Lokals, der weder bevölkert noch beleuchtet ist, und schalten das Licht ein. Ohne den Ober um Erlaubnis zu fragen, und obwohl im besuchten Teil des Betriebs noch Plätze frei sind. Quizfrage: Kommt ein solches Verhalten, statistisch gesehen, öfter in a) österreichischen oder b) deutschen Kleingruppen vor? Da ich so eine Ahnung habe, wie Ihre Antwort ausfällt, könnte ich es mir jetzt leicht machen und behaupten: Es waren Tiroler Schützen auf Wien-Fahrt, mit einer Bierfahne, die man bis Kufstein riecht – und da sieht man wieder, welche Vorurteile... Aber so war es nicht, es waren Deutsche, und sie wirkten nüchtern.

Warum tun die so etwas? Schwierige Frage, und ich maße mir keine verbindliche Antwort an. Womöglich waren es ja nur zwei testosterongeplagte Schnösel, die Unhöflichkeit mit Coolness verwechseln. Und Exemplare dieser Gattung gibt es, darauf würde ich wetten, in jedem Land in gleicher Quote. Und doch bin ich überzeugt davon, dass Deutsche sich solche Auftritte häufiger leisten als Österreicher. Ich habe dieses Phänomen schon so oft beobachtet, bin am Ende selbst nicht frei davon, sodass ich eine These wagen möchte: Das Verhalten der beiden Männer scheint übertriebenes Selbstbewusstsein zu demonstrieren. Ich glaube allerdings, es ist – wie so oft bei solchem Gegockel – ein Ausdruck einer ganz spezifischen Unsicherheit.


Viele Deutsche halten es nicht aus, sich irgendwo fremd zu fühlen. Und zwar deswegen, weil sie sich bisweilen selbst fremd sind, zumindest in ihrer Eigenschaft als Deutsche. Es gibt wohl kaum eine andere Nation, die ein derart heikles, unentspanntes Verhältnis zur eigenen Identität hat. Da wirkt, bis heute, jene monströse Schuld nach, die die Deutschen im Namen der Nation auf sich geladen haben. Und in der deutschen Nachkriegsgesellschaft, zumindest in ihrem zivilisierten Teil, gab es keine Mir-san-mir- und Jetzt-erst-recht-Winkel, in die man hätte flüchten können.

Wenn den Deutschen schon das eigene Land als heimatstiftende Instanz suspekt ist, wollen sie sich wenigstens im Ausland zu Hause fühlen, und zwar auf der Stelle. Man kennt das doch: Piefkes beim Hüttenzauber, mit Tirolerhut und Jagatee und all dem anbiedernden Getue. Oder wie sagt es Max Goldt? Im Urlaub, beim afrikanischen Tanz sind immer die Deutschen in der ersten Reihe: Seht her, ich hab mehr Körpergefühl als der ganze Senegal. Beliebtheitswettbewerbe gewinnt man damit nicht, keine Frage. Aber es ist nicht ein Ausdruck von Großkotzigkeit, es ist ein Zeichen von tief sitzender Befangenheit.

dietmar.krug@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.04.2010)

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