67 Bewerber

Sind wir Deutschen auf dem österreichischen Arbeitsmarkt privilegiert? Teil 2: Wie ich aus 67 Bewerbern ausgewählt wurde – aufgrund meiner Herkunft.

Bald nach dem nicht gerade im Eiltempo durchlaufenen Studium habe ich mich an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften beworben. Es ging um einen Job bei einem Karl-Kraus-Forschungsprojekt, und er war heiß begehrt. Schließlich quellen die Stellenanzeigen nicht gerade über vor artgerechten Angeboten für Germanisten. 67 Bewerber waren angetreten – und siehe da, die Wahl fiel auf mich. Ich muss zugeben: Ein Weilchen hab ich mich da ganz schön auserwählt gefühlt, doch das sollte mir bald vergehen.

Mein Chef war ein bedeutender Mann, an der Uni ein „Herr Professor“, in der Akademie der „Herr Präsident“ und in der Forschungskommission, der ich nun angehörte, war er der „Herr Obmann“. Dass die Titel, je nachdem, in welcher Funktion er gerade war, in der Anrede fein säuberlich geschieden wurden, war für einen Deutschen natürlich ein faszinierendes Schauspiel. Warum der Träger der Titel ausgerechnet mich ausgewählt hatte, das steckte mir seine Projektleiterin gleich an meinem ersten Arbeitstag. Zwei Gründe seien ausschlaggebend gewesen: Beim Versuch, EU-Gelder für das Projekt lockerzumachen, könnte ein Quotenpiefke womöglich nützlich sein, eine Italienerin hatte man schon im Team.


Den zweiten Grundhier zu erwähnen ist mir offen gestanden ein wenig peinlich. Dem Herrn Obmann hatte es nämlich gefallen, dass sich ein Deutscher so begeistert über die österreichische Literatur ausgelassen hatte. Ich hatte da ganz schön dick aufgetragen, alles auf eine Karte gesetzt und mich zu der Behauptung hinreißen lassen: Die „Liebe zur österreichischen Literatur“ sei es gewesen, die mich nach Wien geführt habe. „Schamloser Schmeichler“, wird jetzt mancher mit gesenkten Mundwinkeln denken – oder, im Falle minderer Begabung fürs Moralische: „Da schau her, die können das auch, die Deutschen.“

Interessanter indes als der Umstand, dass mein Charakter offenbar nicht davor gefeit ist, ins Honigtöpfchen zu greifen, wenn's um die Wurst geht, ist doch wohl das Phänomen, dass der Bluff funktioniert hat. Man liest zwar gelegentlich von Menschen, die aus Leidenschaft für die Mundartdichtung der Inuit ein Iglu am Polarkreis aufschlagen, aber kennen Sie so jemanden persönlich? Ich nicht.

Meinen 66 Konkurrenten, die leer ausgegangen sind, möchte ich noch nachrufen: Grämt euch nicht! Gegen einen Deutschen, der einem Österreicher, einem Präsidenten zumal, ein Kompliment über sein Land und seine Literatur macht – gegen einen solchen Gegner ist einfach kein Kraut gewachsen. Und noch ein kleiner Trost: Der Job erwies sich als Farce, als ein einziges Desaster. Aber das ist Stoff für eine andere Geschichte.

dietmar.krug@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2010)

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