Sinn für Gastfreundschaft

Wer hat mehr Sinn für Gastfreundschaft: die Österreicher oder die Deutschen? Versuch einer Antwort auf Basis höchst privater Feldforschung.

Wenn drei Frauen und drei Männer gemeinsam zwei geglückte Wochen in der Toskana verbringen, dann bleibt das natürlich nicht ohne Folgen. Bald nach dem Urlaub, von dem in der letzten Kolumne die Rede war, habe ich mit einem der beiden Reisefreunde unsere neuen Bekanntschaften in der Steiermark besucht. Bei der Ankunft machten wir Augen: Die beiden Schwestern, die uns eingeladen hatten, wohnten bei ihren Eltern, in einem alten, nicht mehr bewirtschafteten Bauernhaus, direkt am Fuß eines Berghangs gelegen, mit eigener Quelle und Mühle. Wir wurden, auch von den Eltern, herzlich empfangen, eine Woche lang bewirtet und verwöhnt.

Einen Monat darauf, im tiefsten steirischen Winter, wiederholten wir den Besuch. Das Haus wirkte noch idyllischer, und wieder kamen wir in den Genuss einer selbstverständlichen Gastfreundschaft. (Obwohl inzwischen klar war, dass man keine künftigen Schwiegersöhne beherbergte.)

Dass wir uns für diese Gastlichkeit erkenntlich zeigen könnten, der Gedanken ist uns nicht wirklich gekommen. Zweimal haben wir uns von der Familie verabschiedet, herzlich zwar, aber ohne einen Blumenstrauß oder ein Gastgeschenk zu hinterlassen. Ich will da gar nichts beschönigen, wir waren einfach so, zwei halb sozialisierte Männer Anfang zwanzig, denen niemand gezeigt hatte, wie man Gastfreundschaft erwidert. Seitdem frage ich mich: Was hat man uns denn gezeigt?


Eine Kindheitserinnerung: Mein Vater hatte sich gerade einen neuen Mercedes gekauft, den kleinsten seiner Art zwar, aber immerhin einen echten Benz. Das brachte meine Mutter auf eine Idee: Wir könnten doch wieder mal unsere Verwandten in der „Ostzone“ besuchen, wie sie die DDR noch bis zum Mauerfall nannte. Meine Eltern schwärmten oft von der Gastfreundschaft dieser Verwandten, man habe dort zwar nicht viel, aber was man habe, teile man gern. Beim letzten Besuch hatte der Hausherr zu unseren Ehren ein Schwein geschlachtet und groß aufgetafelt. Darum wollten meine Eltern sich bei den Gastgeschenken nicht lumpen lassen. Meine Mutter mistete alle Kleiderschränke aus und opferte einen Ring aus ihrem Schmuckkästchen, den ihre Schwester ihr vor Jahren geschenkt hatte. Und mein Vater holte eine kleine Kollektion von selbst gebastelten Tiffanylampen aus dem Hobbykeller. Dablieb leider kein Platz für den Kassettenrekorder, den sich mein Cousin ausdrücklich gewünscht hatte. („Die glauben ja, so was kostet hier nichts.“)

Meine Bilanz mag sehr persönlich sein, aber sie ist eindeutig: Die Gastfreundschaft, dieses feine und stets gefährdete Gewächs, gedeiht in Österreich, mit seiner Nähe zum sonnigen Balkan, leichter als in jener Region, aus der ich stamme.

dietmar.krug@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.05.2010)

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