Deutschland und Österreich haben etwas gemeinsam

»Du sollst so sein wie wir!« – Österreichs elftes Gebot oder: Wie Falco am Ende zum Wunschkind von Helmut und Daggi wurde.

Deutschland und Österreich haben etwas gemeinsam: einen ungeheuren Bedeutungsverlust im Reich der Töne. Zwei Jahrhunderte lang hatten diese Länder die Musikwelt maßgeblich mitgeprägt. Doch bei der globalen musikalischen Revolution, zu der die Nachfahren verschleppter Afrikaner in der Neuen Welt das Dynamit geliefert hatten, spielten beide Länder nicht einmal mehr die zweite Geige. Die Weichen im Blues, im Jazz, im Rock'n'Roll und allem, was daraus entstand, wurden anderswo gestellt.

Es gab aber zwei bezeichnende Ausnahmen. Die ersten Popmusiker, die mit einem deutschsprachigen Song den großen Sprung in die US-Charts schafften, waren die Düsseldorfer Elektronikpioniere von „Kraftwerk“ („Wir fahr'n, fahr'n, fahr'n auf der Autobahn“). Der Zweite, dem das gelang – nicht ganz so folgenreich, dafür umso erfolgreicher –, war Falco, der „erste weiße Rapper“. Interessant ist, wie unterschiedlich die beiden ihr Popstar-Image anlegten. Bei der deutschen Band verschwindet die Person hinter der Technik, die Musiker agieren bei Konzerten wie Roboter hinter ihren Geräten. Falco hingegen steht als durchgestylte Kunstfigur völlig im Zentrum der Show, spätestens seit seinem Nummer-eins-Hit „Rock Me Amadeus“ ist er die Personifikation des Superstars.


Das Image dafür schuf sich Falco, indem er gegen ein heiliges österreichisches Gesetz verstieß, das da lautet: Du darfst nicht arrogant sein! In Österreich muss man als Star das verlogene Kunststück fertigbringen, aus der Menge herauszufunkeln, ohne in den Verdacht zu geraten, man wolle sich von den anderen abheben. Falcos Größe beruht nicht zuletztdarauf, dass er sich diesem Diktat des Ressentiments nicht gebeugt hat. Schon in seiner Anfangszeit tritt er in Designeranzügen auf, mit Gelfrisur, blasierter Miene und affektiertem Zungenschlag. Damit unterscheidet er sich von jenen Pop-Patrioten, die zwar genau wie er ihre Jetset-Existenz fristen, aber keine Gelegenheit auslassen, um zu signalisieren: Ich bin eh einer von euch! Oder: „I bin dei Apfel, du mei Stamm“, wie Rainhard Fendrich in seiner klebrigen Anbiederhymne „I Am From Austria“ buhlt.

Aus dieser Fallobstfalle hat sich selbst Superstar Hans Hölzel nicht befreien können. „Ich hätte oftmals Gelegenheit gehabt, nach Amerika zu gehen“, hat er einmal gesagt, „ich hab es nicht getan, weil das Schönste an der amerikanischen Fahne die rot-weiß-roten Streifen sind.“ Das hatte seinen Preis. So sprach Helmut Zilk bei Falcos Begräbnis die denkwürdigen Worte: „Ich wünscht', er wär mein Sohn gewesen.“ Diesem Land entkommt einfach niemand, da kann man noch so weit vom Stamm abheben. Am Ende wird noch jeder große Sohn zu einem Hiesigen und Unsrigen – und sei es als Wunschkind von Helmut und Daggi.

dietmar.krug@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.08.2010)

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