Über Weichzeichner und Wunderwörtchen

Sind wir Deutschen sprachliche Granitblöcke,die sich nicht und nicht anpassen wollen? Über Weichzeichner und Wunderwörtchen.

Wenn ich hierzulande jemandes Bekanntschaft mache, kommt es in neun von zehn Fällen zu folgendem Dialog: „Wie lange leben Sie schon hier?“ – „Über zwanzig Jahre.“ – „Dashört man Ihnen überhaupt nicht an.“ Hat der oder die Betreffende eine Weile in Deutschland verbracht, folgt meist der Nachsatz: „Also ich hab dort schnell angefangen, wie ein Deutscher zu reden.“ Sind wir Deutschen wirklich resistente Granitblöcke, die sich sprachlich nicht und nicht assimilieren wollen? Im Vergleich zu Österreichern, die in Deutschland leben, gewiss. Die verlangen erstaunlich rasch beim Einkauf 'ne Tüte für die Tomaten. Das hat, abgesehen von heiklen Fragen des Selbstbewusstseins, einen einfachen Grund. In Deutschland verbindet man mit dem österreichischen Akzent Dinge wie Ski, Charme und Sommerfrische. In einem Klima der Akzeptanz gehen einem ein paar flotte Zugeständnisse leicht über die Lippen.

Unser Akzent hingegen weckt hierorts Assoziationen wie Härte, Hochmut und Humorlosigkeit, was den Trotz der bestätigten Erwartung zur Folge hat: Wenn ihr mich schon für einen Piefke haltet, dann bin ich halt einer; den Gefallen, mich anzubiedern, tu ich euch nicht. Zumindest an der Oberfläche, denn zugleich beginnt man unwillkürlich, sich und seinesgleichen mit den Ohren der anderen wahrzunehmen. Manches kommt einem plötzlich selbst komisch vor.


Nach einiger Zeit macht man einen Bogen um jene Eigenheiten, die besonders piefkinesisch klingen. So guck ich mir etwa seit Jahren keine Filme mehr an, ich schau sie mir an. Ich verneine längst mit „na“ statt mit „ne“, und meine rheinische Variante „nä“ erinnert mich inzwischen an ein Geräusch aus dem Ziegenstall. Ein Weichzeichner hat sich über meine Konsonanten gelegt, ich spreche heute irgendwie „buttriger“ als früher. Meinen deutschen Freunden ist das keineswegs entgangen, zumal sich auch mein Wortschatz erweitert hat.

Mein erster Sprachimport war das Wunderwörtchen „eh“. Zum einen, weil es im Sprachfluss unschlagbar ist im Vergleich zu seinen schwerfälligen Verwandten „ohnehin“ und „sowieso“. Zum anderen, weil es selten zwei Buchstaben gibt, die einen so direkten Zugang zur österreichischen Seelehaben. Kommentiert man etwas Gesagtes mit „eh“, dann geht eine kleine Welt auf, bestehend aus resignativer Zustimmung, Wurstigkeit und „Spar dir denAtem, weiß ich doch längst“. Will man noch eins draufsetzen, sagt man „eh klor“. Ist man ein Wiener, der etwas auf sich hält, ist einem ständig alles „eh wurscht“. Und wenn's am Ende „eh kan Sinn“ hat, dann ist man in der Regel der, der es „eh immer schon gewusst“ hat. Ohne eine ordentliche Portion „eh“ kann ein Deutscher hier gar nicht existieren, wenn er nicht den Verstand verlieren will.

dietmar.krug@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.08.2010)

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