Von Blumenkindern und Berufsjugendlichen

Und warum mich meine Landsleute bisweilen zu schamlosen Schimpforgien reizen können.

Fällt es eigentlich auch unter Rassismus, wenn man sich in einer Schimpforgie über eine Bevölkerungsgruppe ergeht – und ihr selbst angehört? Ich meine so einen richtig unfairen, schamlosen Anfall, einen, den ich nie dulden würde, wenn ihn ein Österreicher hätte.

Wir Deutschen sind ja ein reiselustiges Völkchen, auch ich bin, wenn Sie diese Zeilen lesen, gerade im Süden unterwegs. Und da wir außerdem noch ziemlich zahlreich sind, ist, egal wo, die Wahrscheinlichkeit hoch, einen von uns als Sitz- oder Zimmernachbarn zu erwischen. Manchmal vernarren wir uns regelrecht in einen Ort, etwa in die Kanareninsel La Gomera. Schon in den Siebzigern tauchten dort die ersten deutschen Hippies auf, heute sind Teile der Insel fest in den Händen ihrer Erben, der Bobos, Esoteriker und Berufsjugendlichen jeder Spielart. An erlesenen Plätzen wird das ganze Jahr hindurch getrommelt, meditiert und Sinn gesucht, was das Zeug hält. Einheimische bekommt man dort indes kaum zu sehen.

Sogar eine deutschsprachige Zeitung gibt es auf der Insel, den „Valle-Boten“. Gedüngt mit einer Mischung aus Blumenkind und Ballermann treibt das Blättchen Blüten wie: „Der letzte Guru von Gomera“, „Kiffen statt Champagnersaufen“ oder „Wir saufen uns die Merkel schön“.


Einmal war ich auf La Gomera, und dann nie wieder, was der wunderbaren Insel zweifellos Unrecht tut. Gern erinnere ich mich an eine Wanderung mit meiner Freundin durch die herrlichen Berge, weniger gern an das Ende der Unternehmung. Wir hatten uns verlaufen, waren in einen Nebel geraten und darum viel zu spät und völlig erschöpft an unserem Ziel angelangt. Es dämmerte bereits, es war kalt, weder ein Quartier noch ein Transportmittel in Sicht, der Rückweg hätte die halbe Nacht gedauert. Doch am Wegrand stand plötzlich die Rettung mit laufendem Motor: ein Kleinbus voll gut gelaunter Landsleute, Wanderer wie wir. Wir fragten den Fahrer, einen jungen Mann mit Stirnband und allen Insignien des alternativen Ökoreisenden, ob wir mitfahren dürften. Und der sagte, ohne lange nachzudenken: „Nee.“ „Warum?“, war das letzte zivilisierte Wort, das ich an jenem Abend hervorbrachte, und die Antwort lautete: „Weil ihr nicht zur Gruppe gehört und darum, im Falle eines Unfalls, nicht versichert wärt.“

Dann erinnere ich mich noch an die Rücklichter des Kleinbusses und an einen Wutanfall, in dem ein Dutzend Mal die Wendung „80 Millionen rundum versicherte Vollspießer“ vorkam ... und noch ein paar andere Dinge, die ich hier lieber nicht erwähnen möchte. Der Anfall und das Augenrollen meiner Freundin endeten erst, als ein betagtes niederländisches Ehepaar in einem gemieteten Kleinwagen anhielt und fragte: „Können wir Sie irgendwohin mitnehmen?“

dietmar.krug@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.10.2010)

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