Sind die Österreicher schleimig?

Und neigen wir Deutschen zu verletzender Ehrlichkeit? Wie eine Top-Psychoanalytikerin dem Schauspieler Christoph Waltz die Leviten las.

Eigentlich wollte ich ja etwas über Berlin schreiben. Aber die Wucht der Ereignisse hat meine Pläne durchkreuzt. In einem Interview mit der deutschen „Welt“ hat der Schauspieler Christoph Waltz der österreichischen Seele einen bösen Tritt versetzt: „In Wien, wo ich herkomme, ist der Ton wichtiger als der Inhalt. Wogegen in Deutschland eher Tiefe und Ehrlichkeit zählen. In Wien behindert das eher den Informationsaustausch. Deswegen sagt man hier auch leichthin, der Österreicher sei schleimig. Ich würde überhaupt nicht sagen, dass er das nicht ist.“

„Nein, wir sind nicht schleimig, Herr Waltz“, titelt daraufhin am Mittwoch die Gratiszeitung „Heute“ – das „nicht“ fett unterstrichen. Ausgerechnet der Waltz! Nach seinem Überraschungserfolg in Tarantinos „Inglorious Basterds“ war er der Anlass dafür, dass Österreich sich monatelang auf einer Wir-sind-Oscar-Wolke selbst feiern konnte. Und jetzt das. Wie undankbar!


Da die Zeitung „Heute“ bekannt dafür ist, kein Urteil ohne Expertenbefragung zu fällen, verheißt sie unter dem Titelfoto von Waltz, auf dem er grimmigen Blickes mit einer riesigen Pistole zielt: „Was Psychoanalytiker zur Anti-Österreich-Attacke des Stars sagen.“ Im Blattinneren ergreift dann Rotraud Perner das Wort, eingeführt als „Top-Analytikerin“. Geschult darin, in die tiefsten Seelenwinkel zu blicken, verrät sie uns: „Herr Waltz will sich offenbar bei den Deutschen beliebt machen.“ Was täten wir nur ohne unsere Experten! Doch Frau Perner wäre keine echte Österreicherin, wenn sie nicht eine Portion Seelenbalsam für ihre Landsleute parat hätte: „Wenn man die diplomatische Begabung der Österreicher unbedingt negativ bewerten will, dann könnte man das sagen. Deutsche wirken brutaler und oft verletzend in ihrer Ehrlichkeit. Wir Österreicher sind weicher und um Ausgleich bemüht.“


Schon erstaunlich: Da schleimt sich ein Mime mit Sinn fürs Tiefe bei dem einen Land ein, indem er das andere der Schleimerei bezichtigt. Und ein Boulevardblatt spannt für eine (sehr österreichische) Wir-sind-ja-so-verletzt-Kampagne eine Psychoanalytikerin ein, die sich nicht entblödet, einer dreisten Plattitüde mit der Beweihräucherung der eigenen Landsleute zu begegnen. Was für eine Orgie an Klischees: hier die Deutschen, brutal vor lauter Tiefe und Ehrlichkeit, dort die Österreicher, schleimig, aber voller Weichheit und Diplomatie.

Da verschwimmen einem die Begriffe. Die Kunst der Diplomatie ist doch wohl ein Zeugnis hoher sozialer Kompetenz – und keineswegs ein anderes Wort für Schleimerei. Ein Diplomat, der schleimt, ist ein Stümper, weil er durchsichtig agiert. Und dass ausgerechnet eine Analytikerin das Verletzende an der Ehrlichkeit betont, entbehrt nicht der Ironie. Ihr Klischee des weichen, stets um Ausgleich bemühten Österreichers erinnert zudem fatal an ein nicht weniger fragwürdiges Selbstbild: „Mir san eh die reinsten Lamperln.“

Es liegt etwas eigentümlich Infantiles über dem Ganzen. Aber die Kränkbarkeit des österreichischen Ego ist offenbar nur die Kehrseite der kindlichen Gabe, sich mit einem Oscar für die beste Nebenrolle bis zum Platzen aufblasen zu können.

dietmar.krug@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.01.2011)

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