Ehe versus heterosexuelle Verpartnerung

Warum ein Mensch, der nicht heiraten will, in allerlei sprachlichen Verlegenheiten steckt.

Das Faszinierende an der Sprache ist, dass sie mit uns mitwächst oder -schrumpft. Wörterbücher können nie mehr sein als Momentaufnahmen eines faktischen Sprachgebrauchs. So warnte das Österreichische Wörterbuch, der Wächter der hiesigen Sprachseele, noch 1979 vor der Verwendung von Wörtern wie Müll, Zoo oder Gardine: Pfui, Piefke! Heute weiß kaum noch jemand von diesen Tabus, und das Lexikon hat längst eingelenkt.

Wenn Sprache sich wandelt, ist sie immer ein Spiegel einer veränderten Welt. So war etwa vor zwei Wochen in meiner Kolumne von meiner Nichte die Rede. Da ich aber weder Geschwister habe noch verheiratet bin, kann ich streng genommen gar keine Nichte haben. Wie nenn ich nun das Kind? Wahlnichte? Ganz frei von verwandtschaftlicher Lenkung war meine Wahl ja nicht, schließlich handelt es sich um die Nichte meiner Freundin.

Auch mit dem Wort Freundin bin ich nicht recht glücklich, je älter ich werde. Da es immer mehr Paare gibt, die nicht heiraten, hat sich die Sprache nicht lumpen lassen und eine Reihe von neuen Wörtern für die Zweisamkeit hervorgebracht. Diese Vokabeln sind aber dermaßen gründlich von Poesie und Tiefe bereinigt, dass ich mich schlechterdings weigere, sie zu verwenden. Eine Beziehung kann man auch zu seinem Hund haben, die Lebensabschnittspartnerin klingt nach erotinfreier Zone und trägt das Ablaufdatum bereits im Namen. Undmei Oide kennt nur ein Wiener im Liebesrausch. Am erträglichsten ist noch die Lebensgefährtin, weil sie immerhin suggeriert, man sei gemeinsam auf großer Fahrt und stelle sich den Fährnissen des Lebens. Unlängst war in einer Radiosendung von „homosexuell verpartnerten Menschen“ die Rede. Bleibt mir am Ende nur die Wahl, entweder in den heiligen Stand der Ehe zu treten oder mich heterosexuell zu verpartnern?


Das Wort Ehe hat schon ein paar Jahrhunderte auf dem Buckel, das historische Wortfeld, aus dem es stammt, enthält sprachliche Schwergewichte wie Sitte, Recht und Ewigkeit. Wem das allzu viel Wucht und Gewicht ist für so etwas Fragiles wie die Liebe und wer sich weigert, Staat oder Kirche ins Privateste schlechthin zu lassen, der steckt derweil noch in einem Dilemma der Benennung. Die Sprache spiegelt dabei nur die Verlegenheit, dass sich noch keine neuen Ideen für jene große Verbindlichkeit gefunden haben, die sich, Hand aufs Herz, auch im Zeitalter des Patchworks so gut wie jeder wünscht.

Sollten wir irgendwann lernen, entspannt und ohne Zwangsernüchterung mit der neuen Freiheit umzugehen, dann werden sich ganz von selbst die passenden Wörter finden. Doch bis es so weit ist, nehme ich mir die Freiheit, den Menschen, mit dem ich mein Leben teile, von nun an meine Frau zu nennen. Geht doch! Auch ohne Trauschein.

dietmar.krug@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.07.2011)

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