Mein Wien, Teil 2

Wie ich eine äußerst üppige Fata Morgana hatte. Und wie mein Professor mich zu einer einfältigen Antwort provozierte.

Wien ist eine Wucht!“ Dieser Satz entkam mir vor über zwanzig Jahren, als ein Freund mich fragte: „Und? Wie war's in der Lobau?“ Er hatte mir die wilden Donauauen für meinen ersten sommerlichen Radausflug ans Herz gelegt. Was er mir nicht gesagt hatte, war, dass mich die Fahrt dorthin durch die Zone des textilfreien Seelenbaumelns führen würde.

Auf der Donauinsel hatte mir unentwegt die Sonne auf den Schädel gebrannt, und was ich dann plötzlich sah, ließ mich für einen Moment glauben, der lange Schattenentzug hätte eine Fata Morgana aus einem Fellini-Film ausgelöst. Auf einem Holztisch lag bäuchlings ausgestreckt eine nahtlos gebräunte Frau. Sie war von ausgeprägt rubenshafter Anmutung und glänzte in der Sonne, was daher rührte, dass ein Mann, ebenfalls nackig und stattlich, sie gerade mit Öl marinierte und dabei mit den Handflächen laut klatschende Geräusche erzeugte. Schließlich begann er die gesamte Rückseite der Frau mit einer derartigen Hingabe zu kneten und zu walken, dass er sie in einen leicht hin und her wogenden Wellengang versetzte.

Als mich auf meiner weiteren Fahrt der Durst plagte, machte ich bei einem Imbissstand Halt. Ich wollte mich auf eine der Holzbänke davor setzen, ließ es dann aber, als ich in die Runde blickte. Mich hat ja immer schon gewundert, wie man sich freiwillig der Tortur unterziehen kann, in praller Mittagssonne sein Inneres mit Brauereisäften und fetten Wurstwaren zu füllen. Gottlob weiß der Körper sich da vor folgenreicher Überhitzung zu schützen, indem er literweise Kühlwasser produziert. So sitzt dann am Ende ein jeder in seinem eigenen Schwitzpfützchen.


Der Satz von Wien und seiner Wucht fiel das nächste Mal, als ich mich im Winter darauf in Aachen aufhielt, um mein Studium abzuschließen. Mein Philosophieprofessor hatte sich dazu hinreißen lassen, nachdem er von einer Reise zurückgekehrt war. „Herr Krug, Wien ist eine Wucht!“, rief er, als ich ihm im Treppenhaus der Uni begegnete. „Das macht mich ja ganz stolz“, war meine Antwort, die mir ob ihrer ungemeinen Einfalt bis heute peinlich ist. Zu meiner Entschuldigung sei gesagt, dass mich das Outfit des Professors für einen Moment in sprachlose Verblüffung versetzt hatte. Als Mann mit Sinn fürs Exquisite hatte er sich offenbar von der Wiener Mode inspirieren lassen, denn sein Silberhaupt zierte etwas Besonderes. Da ich bereits ausgiebig Gelegenheit gehabt hatte, den damaligen Hang der Wiener zu skurrilen Kopfbedeckungen zu würdigen, war ich wohl der einzige Student, der wusste, dass mein Lehrer keinen Abstecher ins Land der Kosaken gemacht hatte. Er trug zum silbergrauen Anzug eine nagelneue Pelzmütze: grizzlybraun, topfförmig und von beachtlicher Höhe.

dietmar.krug@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.07.2011)

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