Über Bruno Kreisky, Teil 1

»Lernen Sie Geschichte, Herr Reporter!« Jeder kennt diesen Satz. Aber kaum jemand weiß, warum er fiel.

Es ist schon erstaunlich, wie wenig die Deutschen über ihre kleinen Nachbarländer wissen. Ich bin da leider keine Ausnahme. Als mich 1988 ein glücklicher Zufall völlig unvorbereitet nach Wien verschlug, kannte ich, abgesehen von Waldheim, nur einen Namen der österreichischen Politik: Kreisky. Dabei war der schon seit fünf Jahren nicht mehr im Amt.

Das Erste, was mir auffiel, war, dass man ihn hierzulande „Sonnenkönig“ nannte. Die „Kronen Zeitung“ hatte ihm den Titel verliehen, und wenn ein Land, von links bis rechts, sich ausgerechnet von diesem Blatt einen Kosenamen vorgeben lässt, dann ist Misstrauen angebracht.

Was hatte Kreisky mit seinem Namenspatron, dem absoluten Monarchen Ludwig XIV., gemeinsam? Zunächst einmal das scheinbar unerschütterliche Selbstbewusstsein, dass die politischen Planeten völlig zu Recht um ihn als Zentrum kreisten. Und dann die Gabe, seinen Untertanen zu suggerieren, dass sie durch ihn endlich jenen Platz an der Sonne zurückbekämen, den sie seit dem Untergang der Monarchie so schmerzlich vermissten. Kreisky hat seinem komplexbeladenen Land das Gefühl gegeben, größer zu sein, als es ist. Nicht nur durch eine Außenpolitik im großen Stil, sondern weil er etwas verkörperte, was in der hiesigen, stets von Provinzialität gefährdeten Politik so selten ist: die Weltläufigkeit des Bildungsbürgers.

Welch tragische Ironie: In einem Land, wo mit dem Judentum auch der kreativste Teil dieser bürgerlichen Welt vernichtet wurde, hängt man kaum eine Generation später einem seiner letzten Vertreter an den Lippen.


Das Zweite,was mir auf Schritt und Tritt begegnete, war Kreiskys Ausspruch: „Lernen Sie Geschichte, Herr Reporter!“ Es sagt viel aus über Österreichs Sehnsucht nach Autorität, dass diese Anekdote, in der sich ein Politiker mit einer schulmeisterlichen Abkanzelung patzig der Diskussion verweigert, nie dazu diente, Kreisky zu diskreditieren, im Gegenteil. Darum bin ich auch lange davon ausgegangen, der „Herr Reporter“ müsse etwas Saublödes gesagt haben. Hat er aber nicht.

Es ging damals, Anfang 1981, um die Weigerung der SPÖ, im Untersuchungsausschuss zum AKH-Bauskandal neue Zeugen vorzuladen. Die ÖVP hatte sich daraufhin bei Präsident Kirchschläger beschwert, was Kreisky so in Rage brachte, dass er grollend eine Verfassungskrise, ja die Wiederkehr der Dreißigerjahre an die Wand malte. Der ORF-Journalist Ulrich Brunner wandte ein, dass man heute doch in einer völlig anderen politischen Situation lebe. Und dann fiel Kreiskys legendärer Satz. Doch nicht die Frage, wer hier eigentlich Nachhilfe in Geschichte brauchte, ist im kollektiven Gedächtnis geblieben, sondern das wohlige Gefühl: So war er halt, unser Sonnenkönig.

dietmar.krug@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.03.2012)

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