Diese Türken (von Burak Bekdil)

Viele Türken werden dieser Tage dank guter Wirtschaftsdaten von übertriebenem Selbstbewusstsein fortgerissen. Und übersehen in ihrem Eifer einige Schattenseiten.

Inan Türkmen, ein muslimischer Austrotürke zweiter Generation, ist dieser Tage viel in den Medien. Grund ist sein konfrontatives Buch „Wir kommen!“, in dem er darlegt, dass Europas Zukunft türkisch sei. Seine These: „Egal, ob ihr Europäer uns Türken mögt, egal, ob ihr uns in der EU haben wollt oder nicht: Unser Einfluss in Europa wächst. Wir sind mehr. Wir sind jünger. Wir sind ehrgeiziger. Unsere Wirtschaft wächst schneller. Wir sind stärker.“ Großartig!

In einem Interview mit der „Presse“ sagte Türkmen, er hat sich zu seinem Buch entschlossen, nachdem er über ein anderes Buch in Rage geraten war: eines über muslimische Einwanderung, geschrieben vom deutschen Ökonomen Thilo Sarrazin. „Ich möchte nicht, dass meine Enkel und Urenkel in einem muslimisch dominierten Land leben, wo verbreitet Arabisch und Türkisch gesprochen wird, wo Frauen Kopftücher tragen und der Ruf des Muezzins den Tagesablauf gliedert“, heißt es dort.

Na und? Würden Muslime wollen, dass ihre Enkel und Urenkel in einem christlich dominierten Land aufwachsen, wo verbreitet westliche Sprachen gesprochen werden, wo Männer und Frauen das Kreuz vor sich hertragen und die Kirchenglocken den Tagesablauf bestimmen?

In einem angriffigen Aufsatz für die „FT“ schrieb Türkmen: „Unser Trost ist, dass der türkische Einfluss wächst, und ihr Europäer nichts dagegen tun könnt. Ihr werdet es bald nicht einmal mehr merken, weil ihr alle ein bisschen türkisch werdet. Sommersprossen werden ein seltener Anblick werden in Europa. Die Zukunft gehört der Türkei.“

Vielleicht sollte ich Herrn Türkmen etwas Argumentationshilfe geben, falls er einen weiteren wissenschaftlichen Artikel für eine internationale Zeitung schreiben will: Der größte Mensch der Welt ist Türke. Übrigens auch der Mann, der auf den Papst geschossen hat. Wir können uns auch rühmen, an der Spitze zu stehen bei der Einschränkung von Frauen- und Bürgerrechten. Wir sind die Nummer eins in Europa bei tödlichen Verkehrs- und Arbeitsunfällen. Unsere Wirtschaft mag ja schneller wachsen, aber wir sind noch immer am unteren Ende in Europa, was das Pro-Kopf-Einkommen betrifft. Immerhin können wir stolz darauf sein, dass von den 35.000 weltweit wegen Terrorismus Verurteilten 15.000 in türkischen Gefängnissen sitzen.

Aber Vorsicht, Herr Türkmen, mit Ihren stolz präsentierten demografischen Daten und Fakten: Bevor Europa türkisch wird, könnte die Türkei kurdisch geworden sein. Und, eine Bitte noch: Sehen Sie sich doch nicht zu viele Filme wie „Die Eroberung (von Konstantinopel; Anm.) 1453“, „Süleyman der Prächtige“ oder „Tal der Wölfe“ an. Kollektives Ruhmgefühl – speziell, wenn es unbegründet ist – hat den Türken kein Glück gebracht.


Burak Bekdil ist Kolumnist der Zeitung „Hurriyet“, in der auch dieser Text erstmals erschienen ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.03.2012)

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