"Sorry, werde gerade chirurgisch versorgt"

Eine Großmeister der Verspätungserklärung: Thomas Glavinic.
Eine Großmeister der Verspätungserklärung: Thomas Glavinic.Die Presse
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Wie schnöde unsere eigenen Ausreden sind, wurde gerade am Beispiel Thomas Glavinic deutlich. Von der tragischen Schönheit uneitler Geständnisse.

Bei Ausreden beachtet man meist ungeschriebene, aber nichts desto trotz fixe Regeln. Man bleibt (denn das sei klug, so heißt es) nahe an der Wahrheit, schildert den körperlichen Verfall nur oberflächlich und lässt Familienmitglieder nicht übermäßig oft sterben. Zu viele Aufträge und Terminkollisionen erwähnt man eher als Drogen, Alkohol und medizinische Behandlungen in fernöstlichen Ländern. Besonders, wenn's um Berufliches geht.

Dass es auch anders geht, machte kürzlich die "Frankfurter Allgemeine" publik; die Zeitung brachte Ausreden bzw. Entschuldigungen eines namhaften Kolumnisten - man darf wohl annehmen, mit dessen Einverständnis. Der österreichische Autor Thomas Glavinic, weiß man seitdem, geht ins Volle, wenn die Deadline zur Abgabe seiner Texte naht. Eigentlich schreibt er in seiner Kolumne vom alltäglichen Chaos, das ihn in seinem Haushalt umgibt. Dieses schien aber in den vergangenen drei Jahren immer stärker auf die Produktion seiner Kolumne überzugreifen.

Die Zeitung zitiert aus seinen Mails: "Ich bin in thailand auf meinem computer eingeschlafen, jetzt gehen einige tasten nicht mehr", so Glavinic 2016. Oder "Ich bin heute Nacht offenbar ins Koma gefallen. Weiß nicht, ob ich Kolumne schaffe." Auch Detox in Thailand und ein CT auf Teneriffa kommen vor. Im Jahr 2017 bekam die zuständige Redakteurin Entschuldigungen wie "Sorry, werde gerade chirurgisch versorgt, fängst du mit diesen Notizen was an?" oder "So sorry, ich bin heute früh auf dem Stuhl eingeschlafen und um 11.23 Uhr erwacht." Eine Verhaftung in Bayreuth, tagelange Schlaflosigkeit - schonungslos sich selbst gegenüber berichtete der Autor über die Jahre hinweg von seinen Schwierigkeiten mit dem Leben.

Und Computern, natürlich: "ich finde meine brille nicht, und m computer sind die a tste, die korrekturtste, die kweh/kuh-tste und die eins/rufzeichentste kputt", schrieb er 2018. Das vergangene Jahr schien auch finanziell ein Desaster zu sein: "hbe neulich mal 5 tage nichts gegessen, weil ich pleite bin und gegen mich pfändungsverfhren laufen, sodass ich mir nicht mal mehr meine medikamente leisten kann."

Wie wahr all das ist, kann wohl nur Glavinic sagen. Sein Kommentar vom Dezember: "Dem Text gehts gut, ich überlege mir nur gerade, was ich als Grund für die Verspätung nennen könnte." Wenn wir uns nächstens dieselbe Fragen stellen, könnten wir uns ja ein wenig vom tragikomischen Stil Glavinics inspirieren lassen. Schließlich scheint sich die Ausrede gerade zu einer literarischen Kategorie zu mausern.

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