Es war ja nur Schmäh, Herr Erdoğan!

Erdogan auf dem Wiener Brunnenmark (Archivbild aus 2003)
Erdogan auf dem Wiener Brunnenmark (Archivbild aus 2003) Bruckberger
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Wie man auf Beleidigungen in der Möglichkeitsform reagiert, kann man in Wien gut lernen.

Auch von Deutschen kann man was lernen. Zum Beispiel über Wiener Schmäh. Den lieben sie. Ob sie ihn verstehen oder nicht. Vor 30 Jahren hörte man in Berliner Beiseln mehr „Kottan“-Zitate (auch aus den unterschätzten späten Resetarits-Folgen!) als in Wiener Kneipen; vor fünf Jahren überraschte mich eine resche Hamburgerin, indem sie ihre Bockwurstbestellung mit dem Ruf „Aber Jennifer!“ begleitete. (Wer diesen Schmäh nicht versteht, soll „Heidi Stern“ googeln.)

Und nun erzählte uns Matthias Heine in der „Welt“ unter dem schönen Titel „Schmähkritik ist etwas althergebracht Germanisches“ alles Mögliche über das Schmähen, das nur noch zum passiven Bildungswortschatz gehöre, wie er meint. Auch von der Schmach sei nur mehr selten die Rede, immerhin habe sie sich ins Sportreporterdeutsch gerettet, als Beispiel gibt Heine die bei uns eher als Wunder bekannte „Schmach von Córdoba“.

Der Wiener Schmäh jedenfalls sei nicht mit dem Schmähen und der Schmach verwandt, sondern komme vom jiddischen Wort „Schemá“ (Erzählung, Gehörtes). Das schlägt sich nicht mit der Ableitung, die Robert Sedlaczek gibt: vom rotwelschen Wort Schmee, das so viel wie Gaunersprache, Schwindel, Lüge und/oder feiner Witz bedeutet. Wer schmähstad ist, wem der Schmäh ausgeht, der ist eben im höheren Sinne sprachlos.

Immerhin leitet der „Duden“ den Schmäh sehr wohl vom mittelhochdeutschen „smæhe“ (klein, gering, verächtlich) ab, von dem auch das Schmähen kommt, das eben bedeutet, dass man jemanden verächtlich macht. Und selbst wenn es nur eine Volksetymologie sein sollte: Diese Bedeutung schwingt mit. Oft ist ein Schmäh so etwas wie eine Aggression in der Möglichkeitsform, eine Beleidigung unter Anführungszeichen sozusagen, ein Vorführen von verbalen Waffen, auf deren Verwendung man dann doch verzichtet.

Wenn etwa unser geschätzter Sportchef, im Allgemeinen ein Mann von untadeligen Manieren, mich, weil ich mich wieder einmal beim Layout vordrängen will, mit dem Ruf „Schleich di, du Häusel!“ (dieser Diminutiv von Haus steht im Wienerischen für das kleine Zimmer, das englische Damen aufsuchen, wenn sie sagen, dass sie sich die Nase pudern gehen, und wird auch als derbe Beschimpfung verwendet) bedenkt, dann ist das nicht bös gemeint. Und würde ich im Ernst beleidigt reagieren, dann würde er mir wohl sagen: Geh', hör auf, sei doch nicht so, war ja nur ein Schmäh.

Genau das kann man Herrn Erdoğan nicht sagen, weil er, obwohl ich ihn schon einmal auf dem Brunnenmarkt gesehen habe, kein Wienerisch versteht. Schade eigentlich.

E-Mails an: thomas.kramar@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.04.2016)

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