Jane Austen kämpfte gegen Madame Bovary

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Weder May noch Corbyn konnten vor der Wahl überzeugen. Zumindest haben sie Literaturgeschmack.

Die Briten haben am Donnerstag gewählt. Im Finale ging nach den Terroranschlägen in Manchester und London ein wenig unter, warum Theresa May das Volk früher zu den Urnen gerufen hatte. Die konservative Premierministerin wollte eine stärkere Mehrheit für die Austrittsverhandlungen mit der EU. Geblieben sind ihr am Ende, nach einer etwas missglückten Kampagne, die Slogans Stärke, Stabilität und Sicherheit, während ihr Herausforderer Jeremy Corbyn ganz in der Tradition von Old Labour, aber moderater als in radikaleren Tagen auf Umverteilung setzte: Bildung, Gesundheit, leistbares Wohnen. Damit konnte er – zumindest in Umfragen – aufholen.

Was aber bewegt diese beiden etwas blutleer scheinenden Politiker jenseits der Schlagworte? Wie tickt die unnahbar scheinende May? Was steckt hinter dem onkelhaften Image des Ex-Revoluzzers? Vielleicht trifft ein Bonmot Winston Churchills den Kern. 1939 hat der spätere Premier in einer Radiorede über die Politik der UdSSR gesagt: „... a riddle, wrapped in a mystery, inside an enigma.“

Dabei lag der Charakter der Spitzenkandidaten bei der wahrscheinlich letzten Unterhauswahl vor dem Brexit wie ein offenes Buch vor uns. Man musste nur nachlesen, welchen Kunstgeschmack die beiden haben. Die „Daily Mail“ hat May bereits im Vorjahr gefragt: Ihr Lieblingsbuch ist der 204 Jahre alte Roman „Pride and Prejudice“ von Jane Austen, die es wie wenige Genies versteht, eine feine Gesellschaft zu sezieren. Konventionell mutet hingegen Mays Musikgeschmack an. Schnulzen aus den Sechzigerjahren, fromme Lieder und – „Dancing Queen“ von Abba, verriet sie der BBC. Ach ja, die Königin, mit der sie sich am meisten identifiziert, heißt Elizabeth. Die erste. Gern zitiert die Premierministerin deren Rede vor den Truppen, ehe diese 1588 auf die spanische Armada losgelassen wurden: Niemals sollte ein Prinz aus Europa die englische Grenze überschreiten.

Im Vergleich zu May wirkt Corbyn wie ein zögerlicher Prinz Hamlet. 2015 verriet er dem „New Statesman“, dass Gustave Flauberts gut 160 Jahre alter Roman „Madame Bovary“ sein Lieblingsbuch sei. Französische Unzucht in reinster Form. Ein Jahr später nannte er für „Gentlemen's Quarterly“ den „Ulysses“ des James Joyce – angeblich die Nummer drei jener Romane, die großteils ungelesen bleiben. 95 Jahre alte irische Unzucht in komplexester Form. Und als Autor mag Corbyn am liebsten Chinua Achebe aus Nigeria. Der Titel von dessen erstem kolonialkritischen Werk (1958) klingt wie Labours aktuelles Programm: „Things Fall Apart“. So viel Untergang ist durch exzellenten Musikgeschmack kaum wettzumachen: „House of the Rising Sun“ von den Animals.

E-Mails an:norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.06.2017)

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