Gegengift

Her mit dem Schmerzengeld!

Die SPÖ sorgt für ihren Chef, Christian Kern. Das ist billig und recht.

Wenn sich der für Trübsinn atmosphärisch ideale November zu Ende neigt, verfällt der Soziologenstammtisch des Gegengiftes regelmäßig in hartnäckige Sozialneiddebatten. Vielleicht liegt es daran, dass wir eine letzte Gelegenheit ergreifen wollen, vor dem besinnlichen Advent und der versöhnlichen Stimmung von Weihnachten noch einmal die populistische Sau auf den eisigen Boulevard des Missvergnügens rauszulassen.

Diesmal hat es uns ausgerechnet am „Black Friday“ erwischt und quälend lange vom Power-Shoppen in den Malls von Erdberg abgehalten.

Dazu muss man wissen, dass gerade wir Feuilletonisten eher zu den Opfern als zu den Tätern des beruflichen wie auch pekuniären Neides zählen. Wenn ich vor ressortfremden Kollegen stöhne, dass ich schon wieder einen abendfüllenden „Sommernachtstraum“ im Burgtheater besuchen muss, reagieren die meisten mit Sarkasmus: „Arbeit? Das nennst du Arbeit?“, lautet ihre entwaffnende rhetorische Frage. Ich vermute, dass die meisten branchenfremden, braven Bürger darüber verwundert sind, dass man für solch ein Amüsement sogar bezahlt wird. (Und wenn ich jetzt auch noch gestände, dass wir Kritiker die Programmhefte gratis zur Verfügung gestellt bekommen und ein liebenswürdiges Theater, das die englische Sprache pflegt, uns bei Premieren aus unerfindlichen Gründen mit jeweils zwei Mozartkugeln füttert, raste der Volkszorn wegen solcher Privilegien.) Also lasse ich diese Klammer lieber weg und behaupte: Wer jemals einen Kritiker klassischer Musik vor Wut still in sich hineinweinen sah, weil die Vierte von Bruckner wieder einmal so roh gespielt wurde, wie es überhaupt nicht seinen Vorstellungen entsprach, weiß: Es gibt auch Höllenqualen in den feinsten Konzerthäusern.

Deshalb liegt es mir völlig fern, die SPÖ dafür zu tadeln, dass sie ihrem Vorsitzenden ein bescheidenes Zusatzentgelt gönnt. Allerdings würde ich es nicht als Salär, nicht einmal als Lohn der Angst, sondern völlig medizinisch als Schmerzengeld verbuchen. Christian Kern kriegt nur, was ihm zusteht. Noch weit mehr würde ich allerdings dem Interimschef der Grünen gönnen. Werner Koglers Job ist mindestens so unmöglich wie die Sanierung der ÖBB. Also, liebe alternative Basis: Her mit dem Zaster für einen geplagten Mann!

Anders bewerte ich die Arbeit des fast noch neuen ÖVP-Chefs und beinahe bereits fixierten Bundeskanzlers. Wer würde diesen Siegertyp nicht beneiden? Ich kenne Dutzende Egomanen, die hohe Summen dafür gäben, so wie der türkise Reformer Landeshauptleute, Kämmerer und vor allem auch die FPÖ amtlich beeidet quälen zu dürfen. Sebastian Kurz hat einen Traumjob, der in Mozartkugeln nicht aufzuwiegen ist.

E-Mails an:norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2017)

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