Der Verrat kommt häufig ganz am Anfang

Wer in einem Drama Felix heißt, muss es nicht sein.

Wir Adepten der Kürze in der weiten Steppe des „Gegengiftes“ von Erdberg lieben Zitate aus berühmten Dramen, die es auch nach mehr als hundert Jahren noch nicht geschafft haben, zu geflügelten Worten zu werden. Jedermann kennt wahrscheinlich den Satz „. . . die Seele . . . ist ein weites Land . . .“, er hat sich ins kollektive Gedächtnis Kakaniens fast so tief eingebrannt wie „. . . es ist ein gutes Land . . .“ oder „Die edelste Nation unter allen Nationen ist die Resignation“. Zur Nebensache wird, wer das zu wem bei Grillparzer, Schnitzler oder Nestroy gesagt hat. Diese Sätze wurden von uns einverleibt und sind dermaßen verinnerlicht, dass sie fast schon keine Bedeutung mehr haben.

Interessanter sind aber jene Passagen, die nicht so bedeutungsschwer, sondern wie beiläufig daherkommen. Nehmen wir zum Beispiel den Beginn von „Der einsame Weg“. Der Vorhang hat sich bereits geöffnet, die Zuseher sind noch gar nicht still, da sagt Johanna, sich umwendend, zu ihrem Bruder: „Felix!“ Dieser antwortet: „Ja, ich bin's.“ Was für ein Täuschungsmanöver des Dr. Schnitzler! Felix bedeutet glücklich, doch bald wird sich herausstellen, dass die jungen Leute nicht einmal ausgeglichen sind. Wer weiß da auch schon, dass dieser Felix ein ganz anderer sein könnte als vermutet?

Hätten die Geschwister gleich „Unglücklicher!“ und „Ich bin's doch nicht“ gesagt, wäre aus dem Gesellschaftsdrama mit Kollateralschäden vielleicht eine echte Tragödie geworden. Nein, Schnitzler hat mit seiner Ablenkung recht. Noch raffinierter macht das Anton Tschechow in „Platonov“. Trileckij: „Ist was?“ Anna Petrowna: „Nein . . .“ Da ist doch längst schon alles klar.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2018)

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