Schon Kohl war ein Meister des Anschwärzens

Ein Buch über Nachfolger hat nur dann seinen Reiz, wenn der Fall besonders tief war. Liebe Ex-Bosse: Da geht doch noch mehr!

Die exklusive Neigungsgruppe „Kanzler-Jubel“ im Gegengift hat seit dem Minderheitskabinett Bruno Kreisky I jeden neuen Regierungschef dieses Landes verteidigt. Das gehört zum guten Ton, ob der Steuermann im Herzen Europas nun rot oder schwarz war, türkis ist oder – Gott behüte! – irgendwann noch diffuser koloriert sein wird. Entsprechend schockiert reagierte dieser Fanklub darauf, dass ausgerechnet ein Schwarzer zu schreiben wagt, wie es in der Kurz-Bewegung tatsächlich zugeht.

Wir Älteren, die hier in Erdberg und den angrenzenden wilderen Bezirken bereits so manchen Putsch in der Chefetage, kulturfeindliche Übernahmen und sogar richtige Theaterskandale erlebt haben, versuchen diese verzagten Claqueure zu beruhigen: Es ist nur ein Buch! Und hat schon jemand erlebt, dass einer aus der Generation 4.0 etwas derart Antiquiertes in die Hand genommen hat? Eben.

Was einmal geschrieben steht, ist bald sicher verwahrt vor der absoluten Mehrheit. Wer erinnert sich zum Beispiel noch an dunkle Reminiszenzen eines deutschen Ex-Bundeskanzlers? Ab 2001 diktierte Helmut Kohl sie prospektiven Biografen im Hobbykeller in Oggersheim aufs Tonband. Die exzessiven Protokolle wurden nicht autorisiert. Sie erschienen dennoch, samt harter Sprüche über seine Nachfolgerin. Der greise Kohl klagte, die Verbreitung von mehr als 100 Zitaten aus dem Buch der beiden Journalisten (deren Namen wir längst vergessen haben) wurde untersagt.


Schade für politische Voyeure. So viel ungefilterte Indiskretion, einfach eingeschwärzt! Künftig ist tabu, ob und wie Angela Merkel mit Essbesteck umgehen konnte, ob die christdemokratische Spitze im neuen Jahrtausend überhaupt eine Ahnung von Politik hatte und wes Geistes Kind so mancher Parade-Ossi wirklich war.

Wurde die Post-Kohl-Union, wie ihr langjähriger Boss offenbar erst in Retrospektive erkannte, von hinterfotzigen Verrätern dominiert? Wir wissen es nicht mehr. Soll man also aktuelle Enthüllungen aus der alten ÖVP zensurieren? Kinderkram! Die Ex-Partie der SPÖ dürfte das toppen können.

E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.04.2019)

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