Milan Horvat war der ORF-Mann für den Klang

Als der ORF sich noch als Kulturproduzent verstand, leistete ein Mann aus Kroatien künstlerische Aufbauarbeit.

Die Frage „Wozu?“ ist für Philosophen eine zentrale. Für den ORF auch. Allerdings kam sie erst in einer verhältnismäßig späten Phase der Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Unternehmens auf. Als man nämlich nicht mehr wusste, wo man das nötige Geld für die hilflosen Versuche auftreiben könnte, die amerikanische TV-Seifenproduktion auf Austriakisch zu kopieren, hieß es plötzlich: Wozu braucht eine Rundfunkanstalt ein Symphonieorchester?

Besagte Rundfunkanstalt hatte ja einstens auch einen eigenen Chor, einen exzellenten noch dazu, der imstande war, jene Politik mitzutragen, die der Überzeugung war, die „größte Medienorgel des Landes“ sei so etwas wie ein Kulturinstitut und hätte daher Kultur flächendeckend unter die Leute zu bringen. „Meuchlings bilden“, lautete ein Motto, das der damalige Generalintendant, Gerd Bacher, gern im Munde führte.

Zu diesem Zeitpunkt wäre niemand auf die Idee gekommen, zu hinterfragen, ob ein Medienunternehmen, das von öffentlichem Geld lebt, imstande sein müsste, selbst für kulturelle Wertschöpfung zu sorgen – im weitesten Sinne kulturschaffend zu wirken. Das damals sogenannten ORF-Symphonieorchester wurde in jenen Jahren gegründet.

Das fällt mir ein, weil am Neujahrstag 2014 jener Mann gestorben ist, der damals die nötige Aufbauarbeit geleistet hat: Milan Horvat war bis 1975 Chefdirigent des heutigen RSO Wien. Er arbeitete nicht nur daran, dass sich das junge Ensemble zu einem der führenden Klangkörper für Neue Musik entwickelte, sondern wusste auch, dass die Pflege des klassisch-romantischen Kernrepertoires der einzige Humus ist, auf dem gedeihliche Arbeit für die Avantgarde möglich wird.

In Horvats Zeiten sendete man via TV in diesem Land Schubert-Symphonien, und niemand empfand das neben Heinz Conrads und Zwanzig-Uhr-fünfzehn-Krimi als unnatürlich. Schubert gehörte dazu.

In unseren Tagen, in denen als besondere Errungenschaft gefeiert wird, wenn nicht eine, sondern gleich zwei „Tatort“-Folgen hintereinander gesendet werden, war die Existenz des RSO schon wiederholt extrem gefährdet. Das hätte sich Horvat nicht träumen lassen, als er 1969 mit seiner Aufbautätigkeit begann.

Jahrgang 1919, hatte er seine Studien bei Igor Markevitch absolviert und war in Agram Ehrendirigent der Philharmonie und für ein Jahrzehnt ebenfalls Chef des Opernhauses. Er pflegte auch eine langjährige Verbindung zum feinen Kammerorchester von Lausanne. Produktiv war der Mann aus Kroatien übrigens auch als Ausbildner an der Grazer Musikhochschule. Der prominenteste Dirigent aus Horvats Kaderschmiede ist heute GMD in Zürich: Fabio Luisi.

E-Mails an:wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.01.2014)

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