Zwischen Kabul und Kassel blieb Platz für Wiener

Alles wird gut: In einem versteckten Eck der „Documenta 13“ findet man ihn dann doch noch, den österreichischen Künstler.

Das erste Drittel der 100 Tage „Documenta“ ist um. Die Kasseler Großausstellung beginnt sich aus ihren Superlativen (wichtigste, größte, teuerste, verrückteste) zu schälen. Was nach der ersten Kritik übrig bleibt, sind erstaunlich viele Erlebnisse, die man nicht missen möchte. Etwa auf einem der Baumstümpfe in dem abgelegenen Wäldchen im fantastischen Aue-Park sitzen und sich dem akustischen Film hingeben, den Janet Cardiff hier versteckt hat. Oder in Lee Millers Augen zu blicken, um zu erforschen, was sich die Surrealistin wohl dabei dachte, als sie am 30.April 1945 in Hitlers Wanne ein Bad nahm (und sich dabei fotografieren ließ).

Soll man nach Kassel fahren diesen Sommer? Ja! Unbedingt. Und auf das Wohl der etwas durchgeknallten Chefkuratorin der „Documenta 13“ – Wahlrecht für Erdbeeren! – einen der Erdbeereisbecher essen, die dort in jedem Café angeboten werden. Die wahre Challenge allerdings wäre, nach Kabul zu reisen, wo die „Documenta 13“ eine Außenstelle unterhält. In ein Land, dessen geringste Sorge wohl die Kunst ist – und der Kunsttourismus. Dennoch ist es die größte Leistung der „Documenta“, zwischen Deutschland und Afghanistan einen Link außer dem militärischen hergestellt zu haben.

Kabul/Kassel – beides sind Städte, die in einem Krieg zerstört wurden, in beiden nahm der Nationalismus extreme (Un-)Formen an. Lida Abdul fand ein poetisches Bild für das Abstrampeln mit dem Nationalstolz: Sie filmte einen Mann, der mit einer Fahnenstange in der Hand durch einen See schwimmt. Hin und wieder verschwindet er im türkisen Wasser, nur die Fahne ragt heraus. Wer hält hier wen? Der Film der 1973 in Kabul geborenen, heute in Los Angeles lebenden Künstlerin ist in Kabul wie in Kassel zu sehen. An dem wohl unbekanntesten zentralen Ort dieser „Documenta“, im 1297 gegründeten Elisabeth-Krankenhaus, direkt hinter dem Fridericianum.

Hier ist das korrespondierende Teil der Kabuler Schau zu sehen, hier bekommt man eine Ahnung von einer vorwiegend im Ausland, in den USA, in Deutschland lebenden afghanischen Kunstszene. Hier lernt man über die Künstler-Workshops, die im Vorfeld in Kabul und bei den zerstörten Buddhas von Bamiyan gehalten wurden und die heimischen Künstlern angeblich ein wenig Hoffnung gaben.

Und hier, wo man am wenigsten damit gerechnet hätte, findet man ihn doch noch, den einzigen österreichischen Künstler dieser „Documenta“. Gottfried Haider, der in Wien bei Weibel und jetzt auf der UCLA studiert, hat mit Masood Kamandy ein Computerprogramm entwickelt, das digitale Fotos zu neuen verschmilzt (abrufbar auf documenta13.de). In die offizielle Künstlerliste hat er es nicht geschafft. Aber dabei sein ist alles, heißt es doch.

E-Mails an: almuth.spiegler@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2012)

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