Selbstdemontage durch fehlgeleitete Bildungspolitik?

Gastkommentar. Geplante Änderungen in der Ausbildung von Lehrkräften an den höheren Schulen müssten dringend noch einmal überdacht werden.

Dass die Bildungspolitik gegenwärtig verfahren ist, ist offenkundig. Gebetsmühlenartig wiederholte, ideologisch verfestigte Positionen und die reflexartige Fixierung auf Studienbeiträge lassen um vieles Wichtigeres in den Hintergrund treten. Die wachsende Komplexität durch Detailregelungen führt zudem, wie auch in anderen Politikbereichen, zu einer immer stärkeren Inkohärenz und Intransparenz, die eine fundierte Meinungsbildung der Bürger und Bürgerinnen erschweren. Das ist auch demokratiepolitisch höchst bedenklich.

So auch in der jetzigen Debatte um Bildungspolitik. Themen von hoher Zukunftsrelevanz drohen im Dickicht der Details unterzugehen. Eines dieser zentralen Themen stellt die Ausbildung der Lehrenden für unterschiedliche Schultypen dar. Es gibt seit Jahren unterschiedlichste Entwürfe und Konzepte für ihre Neustrukturierung, wobei das Schwergewicht allgemein auf einer Stärkung der pädagogischen Ausbildung liegt.

Diese Betonung der Pädagogik gegenüber Inhalten führt dazu, dass es immer wieder Überlegungen gab, die Ausbildung auch im Zuge der Vereinheitlichung vorrangig an den Pädagogischen Hochschulen (PH) oder an sogenannten Schools of Education zu konzentrieren.

Druck zur Vereinheitlichung

Gegenwärtig erwerben bekanntlich die Lehrkräfte für höhere Schulen ihr Magisterdiplom an der Universität. Andere Lehrer erhalten ihren Abschluss an den PHs. Doch der Druck zur Vereinheitlichung der Lehrerausbildung steigt auch aufgrund der massiven politischen Interessen der Länder (die PHs sind nicht wie die Universitäten autonom, sondern nachgeordnete Dienststellen). Die Sache schien zuletzt auch dank der klaren Positionierung des neuen Rektors der Universität Wien, Heinz Engl, vom Tisch. Doch die auf der Regierungsklausur am 9.November 2012 beschlossene Lösung führte nun zu einem Kompromiss, der wiederum in die andere Richtung weist.

Nicht nur soll die Lehrerfortbildung generell an PHs erfolgen (jemand hat das mit der Fortbildung für Ärzte beim Roten Kreuz verglichen), sondern die Lehrpläne für Lehramtskandidaten sollen nun zwischen PHs und Universitäten akkordiert und durch einen neu zu gründenden Zertifikatsrat als Trägerinstitution vereinheitlicht werden. Hier wie in anderen Fällen würde die Schaffung neuer Gremien zu geringerer Transparenz führen, was in sich bedenklich ist.

Noch bedenklicher ist es allerdings, dass damit die Autonomie der Universitäten im wichtigen Lehramtsbereich in keiner Weise gewahrt wird. Die geplante Zusammenlegung der Ausbildung im Unterstufenbereich würde zudem eine Situation schaffen, die längerfristig die Universitäten auch unter Druck bringt, sodass nur mehr die Lehrer für die Oberstufe an den Universitäten ausgebildet würden, was aber gleichfalls keine nachhaltige Lösung darstellt.

Dieser Prozess einer schrittweisen Überführung der Lehrerausbildung weg von den Universitäten wird sicherlich auch schon aufgrund des Kompetenzschwerpunkts der PHs mit einer Ausweitung der Pädagogikstudien zulasten der Fachstudien in den Curricula einhergehen.

Nun geht es in dieser Sache – wie immer die Details im Tauziehen um Kompetenzen letztlich ausgestaltet werden – offenkundig um mehr als um ein kleinliches Machthickhack zwischen Universitäten und Pädagogischen Hochschulen; wobei es Ersteren auch nicht um Studierendenzahlen geht, die besonders an der Universität Wien exorbitant hoch sind, was zu einer eklatanten Unterfinanzierung führt.

Gesellschaftspolitische Folgen

Für einige Fächer, wie mein eigenes, wäre die schrittweise Auslagerung der Lehramtsstudien zwar existenzbedrohend, doch ließe sich aufs Ganze gesehen hier wohl mit größerer Forschungsorientierung argumentieren.

Was eigentlich bedrückend ist und eine öffentliche Debatte herausfordern muss, sind die langfristigen gesellschaftspolitischen Konsequenzen einer derartigen Strategie. Professoren für AHS, BHS und andere höhere Schulen würden zunehmend nicht mehr inhaltlich und fachlich auf universitärem Niveau ausgebildet (der Anteil der Lehrenden an PHs, die über ein Doktorat verfügen, beträgt gerade zehn Prozent). Die geringeren fachlichen Qualifikationen, die sich nicht durch pädagogische ersetzen lassen, würden vorhersehbar zu einem Qualitätsverlust auch im Unterricht führen.

Wie sollen Professoren im Sekundärbereich, deren fachliches Wissen auf Maturaniveau ist, inhaltlich vermitteln? Wie sollen sie Schüler und Schülerinnen für ihr Fach begeistern und auf die Universität vorbereiten?

Aufgeblähte Pädagogikschiene

Zudem muss die Frage erlaubt sein, wie weit pädagogische Fähigkeiten theoretisch vermittelt werden können. Nicht wenige meiner ehemaligen Studierenden, die jetzt unterrichten, sind hier eher skeptisch und halten die in den letzten Jahren stark verstärkte Pädagogikschiene bereits jetzt für aufgebläht.

Gesellschaftspolitisch wird durch diesen Kompromiss eine Situation geschaffen, in der inhaltlich schlechter ausgebildete Lehrkräfte (was auch ihr Prestige nochmals verringert) schlechtere Bildungsvoraussetzungen für weite Teile der Bevölkerung schaffen.

Die vorhersehbare Konsequenz eines Qualitätsverlusts an öffentlichen Schulen wird zudem die nicht wünschenswerte Konsequenz haben, dass Wohlhabendere ihre Kinder an Privatschulen schicken und damit die in Österreich bereits niedrige soziale Mobilität weiter verringert wird.

Dazu kommt, dass in einer globalisierten Welt die Zukunft unserer Gesellschaften und auch ihr Wohlstand davon abhängen werden, ob neues Wissen und Innovationen generiert werden. Eine vornehmlich pädagogisch orientierte Ausbildung bietet nicht das nötige Fundament, um Hochleistungen in allen Bereichen, die auf einem breiten guten Durchschnittsniveau aufbauen, zu schaffen.

Fehlendes Basiswissen

Schon jetzt klagen Universitätslehrer zu Recht, dass eine große Zahl von Studierenden mit mangelnden Kenntnissen an die Universität kommt und daher erst Basiswissen vermittelt werden muss, bevor eine Ausbildung auf universitärem Reflexionsniveau überhaupt möglich ist. Dies würde durch die Ministerratsvorlage weiter verschärft.

Es ist daher an die Parteien, vor allem auch an den Wissenschaftsminister und die Unterrichtsministerin zu appellieren, den getroffenen Kompromiss nochmals zu überdenken. Eine Senkung des fachlichen Bildungsniveaus der Lehrkräfte an höheren Schulen ist nicht im gesamtgesellschaftlichen Interesse.

Zur Autorin


E-Mails an: debatte@diepresse.com


Ingeborg Gabriel (* 1952 in Wels) ist Vorstand des Instituts für Sozialethik der Katholisch-Theologischen Fakultät, Mitglied des Senats der Uni Wien sowie Vorsitzende der Vereinigung für Katholische Sozialethik in Mitteleuropa. Zuletzt erschienen: I.Gabriel/H.Renöckl (Hrsg.): „Solidarität in der Krise“ (Echter Verlag, 2012). [Teresa Zoetl]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.01.2013)

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